In Täbriz darf ich S. und H. beim Leben über die Schulter gucken. Mit Erstaunen sehe ich, wie dominant die Frauen hinter verschlossener Tür sind, wie viel Wertschätzung sie erfahren. Gleich meine erste Begegnung hier zeigt mir, alles was ich glaubte über dieses Land zu wissen, war zu kurz gedacht. Die Spektren sind groß, es ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen, aber die Hölle auf Erden ist es nur, wenn man den falschen oder keinen Mann heiratet. Die Mädels verbringen sehr viel Zeit eingesperrt in den familiären vier Wänden und sehen sich türkische Serien an, kochen oder diskutieren über das hier und jetzt. Das Wohnzimmer ist Dreh- und Angelpunkt des Lebens, es ist schön wieder einmal einfach dabei zu sein, während das Familienleben sich entfaltet.
Schnell lerne ich, dass vor dem Essen nach dem Essen ist. Es steht immer etwas auf dem Herd, iranisches Essen zuzubereiten dauert unglaublich lange. Man kocht hier mit viel Liebe und Sorgfalt. Die Gerichte sind eine Vielzahl an verschiedenen Geschmäckern. Noch nie habe ich so viel auf einmal geschmeckt. Alles ist süß, sauer und salzig zugleich, so kommt es mir manchmal vor. Gegessen wird auf einer Plastiktischdecke auf dem Perserteppich. Zwar gibt es Sofas und Sessel, aber die werden nur sporadisch genutzt. Sie sind entlang der drei Wände des Wohnzimmers gereiht und nicht, wie in Deutschland, in einer Sitzgruppe in der Mitte des Raumes.
Täbriz hat den schönsten historischen Bazaar den ich im Iran gesehen habe. Gemeinsam mit S., die auch eine Fotografin ist, schlängeln wir uns durch das Gewirr der Gassen und fotografieren, was das Zeug hält. Mit ihr verliere ich jegliche Scheu, fotografiere Menschen und Gegenstände. Es entstehen schöne Bilder, die einen anderen Alltag zeigen. Ich habe das Gefühl, dass sich, wo auch immer ich meine Kamera hinrichte, eine interessante Szene entfaltet. Hier sieht, riecht und schmeckt die Welt noch ganz „authentisch“. Es ist schön hier. (Später, nachdem ich mich ein wenig umgesehen habe, wird mir klar, dass all diese Bilder ein Klischee reproduzieren und das 1001 Nacht Image des Landes verkaufen. Dieses Image ist jedoch irreführend. Die Realität, wie wir das Wort in Deutschland verstehen, wird hier immer versucht zu verstecken. Es ist mir unmöglich sie auf Fotos einzufangen.)
Nach einem Stadtspaziergang und einem Familienausflug in den Goli Park hat sich das Sightseeingpotential dieser Stadt bereits erschöpft. Mir ist das ganz recht, so bleibt mir noch mehr Zeit einfach nur zu schauen. Alles ist anders, so anders, dass es manchmal 10 Minuten dauert, bis ich die Klospülung verstanden habe oder das Essen genießbar finde. Tausend Kleinigkeiten erscheinen mir unlogisch. So zieht man die Schuhe immer vor der Wohnungstür aus, aber im Bad und in der Küche zieht man Plastikschuhe an. Es stehen keine Betten in der Wohnung, jeden Abend holt man die Matratzen und Kissen aus irgendwelchen Ecken hervor. Alles ist anders hier im Iran, aber doch genauso komfortabel wie daheim. Langsam beginne ich mich in dieser neuen Normalität zu entspannen...
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