Zurück in Pokhara steige ich nach fünf Tagen zum ersten Mal wieder unter die Dusche. Ich lasse das Wasser über meine Schultern perlen, genieße die Wärme die meinen Muskeln lang ersehnte Erleichterung bringt und den Geruch von Shampoo. Meine Beine schmerzen nach dem Tagesmarsch bergab. Jede Treppenstufe erweckt eine ziehende Erinnerung daran, was ich gerade bewältigt habe. Nach der Dusche strecke ich mich auf meinem Bett aus und falle prompt in einen tiefen Schlaf. Geweckt werde ich am Abend von S. Sie hat während ich mich den Mardi Himal hinauf getrieben habe, den Poonhill Trek bewältigt und gemeinsam werden wir nach Kathmandu reisen. Sie ist auf einer spirituellen Reise, war in Indien im Ashram und will hier in Nepal ins Kloster gehen. Ich bin neugierig und schließe mich an.
Wiedereinmal steigen wir in den Bus nach Kathmandu, lassen uns wild durchschütteln und kommen nach 8 Stunden und 18.837 Schlaglöchern in Thamel an. Wir finden unseren Weg durch die wirren und staubigen Straßen Kathmandus und finden schließlich unser Hotel. Es ist etwas schicker als unsere gewöhnlichen Absteigen. Aber da wir zu zweit sind, können wir uns ein Doppelzimmer leisten. Wir entschieden uns für dieses Etablissement, da es eine Badewanne hat, so behauptete zumindest die Anzeige auf Booking.com. Als wir ankommen stellen wir fest, keine Badewanne. Wenigstens ist es sauber und uns wird klar, wir hätten nach einem Hotel mit Schwimmbad suchen sollen. Wir verbringen einen entspannten Nachmittag in Thamel und essen Italienisch. Die Spannung auf das was nun kommt steigt. Unsere Gedanken kreisen um all das was vor uns liegt. Die einen Träumen von wilden Diskussionen, die anderen von endlosen Meditationsübungen. Wir treffen J., eine weitere Bekanntschaft aus Pokhara, die ebenfalls mit ins Kloster kommt.
Nach einem ausführlichen Frühstück, stapeln wir uns in ein Taxi und holpern eine halbe Stunde, bis auf die andere Seite der Stadt. Das Taxi wälzt sich mit Mühe den Berg hinauf und oben angekommen purzeln wir eine nach der anderen hinaus. Wir werden von einem jungen Mönch mit 110 weiteren Kursteilnehmern empfangen. Wir drei bekommen ein vierer Zimmer in das bald noch eine junge Schweizerin zugelegt wird und machen es uns gemütlich. Unser Kurs besteht täglich aus drei Teachings und zwei Meditationen, einer Diskussionsrunde und drei Mahlzeiten. Ich bin froh hier zu sein. Denn selbst wenn ich schnell merke, dass ich mich intuitiv gegen diese Religion sträube, sind die Menschen die währenddessen neben mir sitzen spannender als irgendein Gott oder Buddha das jemals sein könnte. In den Diskussionsrunden spüre ich, wie meine Erziehung im katholischen Gymnasium und die damit einhergehenden Diskussionen, mich perfekt auf diese Situation vorbereitet haben. Ich unterhalte mich gerne über unterschiedliche Glaubenskonstrukte. Mich hält keine Unsicherheit davon ab meine Meinung zu äußern oder zu ändern, wenn jemand Impulse einbringt, die mir neu sind. Erst in der Diskussion passiert für mich die tatsächliche Auseinandersetzung. Schon lange war ich nicht mehr in einer so schulähnlichen Situation. Gleichzeitig wird deutlich, dass das nicht für alle so ist. Viele unterhalten sich hier zum ersten mal über Glauben und Religion. Das führt dazu, dass die Diskussionen immer spannend und ziemlich unvorhersehbar sind.
Bei den Meditationen ist es ganz anders. Da merke ich schnell, dass die analytische Meditation für mich nichts ist. Es geht darum sich einem Thema zu widmen um es ganzheitlich zu verstehen und von allen mir begreifbaren Perspektiven zu betrachten. Dabei sitzt man in der allbekannten Meditationspose und bewegt sich bestenfalls nicht. Da die meisten hier Anfänger sind, ist das eine große Hürde. Da die Nonnen bestens bescheid wissen, geben sie uns alternative Posen und doch wird es nie ganz Still. Die Meditation wird angeleitet, das heißt in regelmäßigen Abständen unterbricht eine ruhige Stimme meinen Gedankenstrom um mich zurück zum Thema zu leiten. Das bringt mich zur Weißglut. Häufig genug bin ich nicht vom Thema abgekommen. Zudem geht es nicht selten um alte Hüte. (Hier geht man davon aus, dass in der westlichen Welt nicht über den Tod nachgedacht wird. Das mag vor zwanzig Jahren so gewesen sein, allerdings ist es weit ab von meiner Realität.) Mit den meisten Themen habe ich mich vor meiner Reise ernsthaft auseinandergesetzt. Ob es mein Tod, der Tod eines geliebten Menschen oder eines in meinem Orbit schwimmenden Bekannten ist, stellt für mich kein Problem da. Es ist eine Realität mit der ich mich arrangiere. Und doch gibt es viele um mich herum, die das ganz anders empfinden. Da ich kaum still sitzen kann vor lauter Aggression in meinem Bauch beschließe ich nicht mehr zu den Meditationen zu gehen. Mir wird bald klar, dass meine Meditation in der Kunst liegt, im Schreiben meiner Texte, im Fotografieren. Ich bin nicht auf der Suche nach einer Religion, weil ich sie gefunden habe in meiner Kreativität.
Die Teachings sind eine andere Geschichte. Es bleibt für mich immer spannend wie andere Menschen ihre Religion und ihre Sicht auf die Welt erklären. Gerade von Nonnen werde ich immer fasziniert sein. Auch hier gibt es viele schwierige Brocken zu schlucken. Gerade Karma macht mir große Probleme. Für mich ist es zum Beispiel nicht Zielführend die Opfer eines Amoklaufes als Menschen zu sehen die ihr schlechtes Karma ernten. Ebenso Kindstod als etwas zu betrachten, was das Wesen auf sich selbst gebracht hat erscheint mir grausam. Wie im Christentum ist mir das Konzept von Gut und Böse, von Schuld und Sühne, von Karma, keine Hilfe. Die Welt ist so viel Komplizierter als eine Rechnung von Taten, dass ich mir ein Kopfschütteln nicht verkneifen kann.
Im Westen wird der Buddhismus häufig verdünnt um ihn Lifestyle gerechter zu machen. Hier im Kloster wird deutlich, dass der Buddhismus eine Religion ist. Kein Lifestyle. Es unterscheidet sich erschreckend wenig vom Christentum, dem Islam und all den anderen Weltreligionen. Was im Christentum die Dreifaltigkeit ist, ist im Islam Allah und im Buddhismus Buddha. Die Philosophie wird untermauert durch eine strikte von Menschenhand gemachte Hierarchie, die überall die gleichen Probleme mit sich bringt: Lug, Trug, Machtausnutzung, Kindesmissbrauch, Lügen und Ungerechtigkeiten sind so intrinsisch Menschlich, dass keine Philosophie oder Religion sie ausmerzen kann.
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