Meine Unterkunft ist eine Reihe von Bambushütten, die auf Stelzen bis weit in die Bananenbäume hinauf reichen. Ich krabble in die Kleinste mit dem Namen „Stillness“. Sie steht auf Stelzen die sie auf einen Meter über den Boden erheben. Es ist ein idyllisches kleines Paradies, die Hütte gerade groß genug für ein Bett und einen schmalen Gang für meinen Rucksack. Die Geräusche des Dschungels sind hier lauter als die des Dorfes und trotzdem sind wir umringt von Häusern. Die Bauwut der Nepalesen fällt mir hier zum ersten Mal auf. Neben uns erhebt sich ein riesiges Betonmonster aus dem Boden. Direkt dahinter liegt der Rapti, der im Nebel versinkende Fluss. Er ist das Zuhause von Krokodilen, Nashörnern und zahllosen Vögeln. Hier sehe ich zum ersten mal einen Eisvogel der in der Luft fliegt, ohne sich vorwärts zu bewegen. Meine Kamera ist in diesem Moment zu langsam für die Realität.
Hier ist es Winter. Für mich fühlt es sich an wie Frühling, der schon fast in den Sommer übergeht. Allabendlich versammeln sich die Bewohner der verschiedenen Hütten um ein Lagerfeuer. Es wird so kühl, dass es ohne Feuer nicht mehr auszuhalten ist. So komme ich in Kontakt mit einer ganzen Reihe von anderen Menschen. Jeder scheint hier Freiwilligenarbeit zu leisten oder führt eine NGO. Manche wollen den Dorfkindern Englisch beibringen, andere die Elefanten retten, die nächsten einfach nur günstig Urlaub machen. Alles erscheint mir verständlich, nichts von dem würde ich selber tatsächlich tun. Hier beginnt für mich ein Verstehensprozess, der mich durch meine gesamte Zeit in Nepal begleiten wird. Statistisch gesehen ist Nepal eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt. Die Probleme hier sind komplex und erscheinen mir unlösbar. Hier weiß zum Beispiel niemand, wie man die Massen an Plastik recyclen kann, die sich tagtäglich ansammeln. Die Infrastruktur ist schlecht und dezentralisierte Lösungen werden gebraucht. Die Tiere werden misshandelt, was die Herzen der Touristen bricht, aber die Einheimischen nicht stört, da sie um die Gefahr, der sie sich aussetzen wissen. Meine westlichen Augen sehen viel Ungerechtigkeit, Traurigkeit und Missstand, jedoch sind es westliche Augen. Die Einheimischen sehen die Probleme ganz anders. Ich treffe viele Menschen aus meiner Welt, deren Sicht auf die Dinge ich als naiv und zu kurz gedacht empfinde. Häufig helfen die Menschen, um sich selbst gut zu fühlen. Meistens nicht für eine lange Zeit. Ein paar Wochen oder Monate hier und dort. Was man gerade geben kann. Ich spüre mehr und mehr, bevor ich es in Worte fassen kann, dass das für mich nicht in Frage kommt. Weil die Hilfe, die man gibt, zeitlich begrenzt und limitiert ist. Man streckt eine Hand aus, aber es ist kein Angebot an dem man sich aus der Misere ziehen lassen kann. Es ist ein kurzes Händeschütteln, eine Bandage und keine Lösung.
Ständig rennt mein Kopf zu Mowgli. Seine Geschichte kommt aus Regionen wie dieser (auf der anderen Seite der Grenze, aber trotzdem). Er passt hier rein. Auch hier sind die Dorfbewohner von Angst geprägt. Angst vor den wilden Tieren, den domestizierten Elefanten und der Natur. Es ist kein abstraktes Gefühl. Hier wurden im letzen Jahr 7 Menschen von einem wilden männlichen Elefanten totgetrampelt, den Tiger hört man manchmal in der Nacht und die nächtlichen Besuche eines alternden, und deswegen aus der Herde geworfenen Nashorns (ebenfalls männlich), ziehen allmorgendlich eine Spur der Zerstörung durch die Bepflanzung des Dorfes.
Ich wache eines Nachts auf, weil die Mäuse über meinen Köpfen tanzen und ein mir unbekanntes Geräusch, ein rhythmisches Malmen, auf der anderen Seite der dünnen geflochtenen Wand meiner Hütte, Angst macht. Elefant? Nashorn? Zunächst liege ich starr in meinem Bett, es wird schon vorbei gehen. Als etwas gegen meine Hütte stößt und sie gefährlich zittert, setzt mich die Angst in Bewegung. Ich öffne vorsichtig die Tür, außer Nebel sehe ich nichts, allerdings befinde ich mich an der Vorderseite der Hütte. Das Geräusch kam von der Rückseite. Also schleiche ich mich mit schlotternden Knien meine aus Baumstümpfen gemachte Treppe herunter und hoffe das das Tier blind und taub ist. Kaum bin ich unten, hocke ich mich in die Knie und werfe einen Blick unter der Hütte auf die andere Seite. Ich sehe drei riesige Beinstümpfe, als der Bananenbaum hinter meiner Hütte laut krachend nachgibt. Es ist ein Nashorn. Nashörner sehen schlecht und setzen sich erst dann in Bewegung, wenn es wirklich nicht anders geht. Ich fühle mich etwas beruhigt. Außerdem hört er nicht auf zu kauen. Wer isst, ist nicht gefährlich, beschließe ich und starre ihn weiter beeindruckt an. Hoffentlich zerstört er nicht meine Hütte. Irgendwann wird es zu kalt und ich krieche zurück. Ich höre das Malmen noch einige Stunden, aber vor dem Morgengrauen bewegt er sich fort von meiner Hütte. Ich bin dankbar und falle in einen unruhigen Schlaf.
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