RASHT

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Tee trinken im Bazaar von Rasht, Iran

Manchmal haben Freunde im Ausland mal jemanden aus dem Iran kennengelernt. So ist das bei J. (meiner ehemaligen Mitbewohnerin) und R. (meiner Gastgeberin) gewesen. Rasht liegt nicht auf der klassischen Touristenroute und ist vielleicht gerade deswegen besonders reizvoll. Es ist ein schöner Ort und dadurch, dass ich zu Besuch bin, sehe ich wieder einmal den Bewegungsradius eines jungen Paares. R. und M. sind so, wie ich junge Menschen kenne.

Hinterhofszene, Rasht, Iran

Alles fühlt sich vertraut an, sie leben eher in WG ähnlichen Verhältnissen, jeder hat noch sein altes Zimmer und die Freunde gehen ein und aus. Die Zweizimmerwohnung wird für mich zu einem Ruhepol. Ich schlafe viel, denn ich bin total überfordert mit all den auf mich einprasselnden Informationen. Diese Müdigkeit verlässt mich von hier ab nicht mehr. Ich trage sie mit mir von Ort zu Ort. Sie hängt mir wie Blei um den Hals. Sie ist der Vorbote der absoluten Erschöpfung, die ich in diesem Land erfahren werde. Aber das wird mir erst in ein paar Wochen klar werden. Bei R. und M. kann ich mir den Raum nehmen, mich dem vergnüglichen Nachtleben entziehen und schlafen. Ich schlafe einen halben Tag und die darauffolgende Nacht durch. Ein paar mal wach ich auf, jedoch genieße ich den Luxus einfach liegen bleiben zu können. Es tut sehr gut und macht mich für den Moment unglaublich glücklich. Oft habe ich den Eindruck, die Iraner schliefen nicht. Sie gehen sehr spät ins Bett, stehen jedoch auch sehr früh auf. Es bringt mich zum Verzweifeln.

Bazaar, Rasht, Iran

In Rasht laufen R. und ich über den Bazaar, schauen uns kurz die Stadt an und trinken einen Tee. Fasziniert schaue ich dabei zu, wie sie sich durch die Stadt bewegt. Ich möchte wissen, wie die einheimischen Frauen das machen? Ich kann nichts erkennen, zumindest keine offensichtlichen Unterschiede und doch fühle ich sie. Ich falle als Touristin auf, ich habe kaum Chancen diesen Tatbestand zu verstecken. R. pflaumt ein paar mal nach rechts, mal nach links und dann ist schnell klar, das sie hier hin gehört. Es fasziniert mich zu sehen, mit was für einer Selbstverständlichkeit sie sich ihren Raum verschafft. Am Ende bewegt sie sich, wie ich mich in Deutschland bewege. Der einzige Unterschied ist der nachlässig auf den Kopf gelegte Hijab. Wieder einmal entdecke ich ein verschobenes Bild in meinem Kopf.

Bazaar, Rasht, Iran

Im Iran möchte fast jeder junge Mensch, mit dem ich rede, auswandern. Nur R. und M. sind anders. Sie haben eine Situation für sich geschaffen, in der sie ein gutes Leben führen, ihren Passionen nachgehen und einen Service für ihre Community betreiben. Ihnen gehört ein Restaurant. Das Essen ist großartig, aber wieder sind die Geschmackskombinationen so fremd, dass es mir Mühe macht, es zu genießen. Zu wenige Geschmäcker sind mir vertraut, zu fremd, zu komplex auch diese Welt. Das Restaurant ist ein schöner, entspannter Ort, aber vielleicht liegt das auch an R. und M., die beide mit einer unglaublichen Gelassenheit durch ihr Leben ziehen. Lange werden sie mir im Gedächtnis bleiben und immer, wenn mein Bild von diesem Land zu sehr in eine eindimensionale Richtung wandert, denke ich schmunzelnd zurück an diese beiden gegen-den-Strom-Schwimmer.

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