Qeshm ist nicht so wie Hormuz. Es ist viel größer und man kann es fast industriell nennen. Aber nur fast. Auch hier laufen die Frauen mit den traditionellen Masken als Teil ihres Hijabs herum und sind so bunt gekleidet wie in Indien. Es sind die Unterschiede die es mir möglich machen, das Festland zu vergessen.
Die Hauptattraktion auf dieser Insel sind die Mangrovenwälder. Wir kommen nah genug an sie heran, um von Sandfliegen zerfressen zu werden, die Wurzeln aus dem Sand sprießen zu sehen und Wasser aus Wüstenbrunnen zu schöpfen. Ganz hinein in die Wälder schaffen wir es nicht. Da J. bereits Mangrovenwälder besucht hat (irgendwo in Süd-Ost Asien) und ich nur schlafen will, suchen wir uns ein kleines Fleckchen Erde und bleiben an diesem Ort zwei Tage. Unserem Empfinden nach ist das eine Ewigkeit. Die Landschaft zwischen Wüste, Meer und Mangroven erinnert im verendenden Sonnenlicht an das Afrika aus dem König der Löwen.
Beim Trampen treffen wir M. Er ist Manager einer Gasplantage (nennt man das so?). Er nimmt uns mit quer über die Insel und zeigt uns seine Baustelle. Inmitten einer weißen Salzlandschaft wird hier Gas angezapft. Bisher steht nur der Tannenbaum und die alte Salzquelle. Wir halten unsere Hände hinein und nach 5 Minuten in der Sonne sind nur noch Salzkristalle auf unserer Haut. Das ist nicht die erste Öl/Gasraffinerie die wir auf der Insel sehen. An einigen Orten leuchtet eine zweite Sonne hinter den Bergen. Eine hell brennende Erinnerung an die naheliegende Industrie.
Beim Trampen wird Zeit und Ort bedeutungslos. Man ist, solange man aus den Städten heraus bleibt, völlig frei. Kann tun und lassen was man möchte. Das Allerschönste ist es, an einem Ort zu bleiben und zu sehen, wie die Einheimischen, in auf den ersten Blick unbewohnten Landstrichen den Alltag bewältigen. Der nie endende Strom von Mopeds, Mangrovenbauern und Schmugglern ist hier so offensichtlich, so ungeniert, dass es mich an die Schmugglerromane meiner Kindheit erinnert. Am Wochenende wird ein Familienfest ganz in der Nähe unseres Campingplatzes gefeiert. Es wird kurzzeitig laut. Mopeds und Autos suchen sich ihren Weg durch den Busch.
Unweit unseres Rückzugsortes entfernt steht ein Brunnen. Ein alter, typischer Wüstenbrunnen. Sie stehen hier in regelmäßigen Abständen und versorgen die in kleinen Häusern lebenden Bewohner dieser abgelegenen Gegend. Wir zelten und haben ausnahmsweise eine Dusche. Auch wenn sie nur aus einem Eimer besteht. Das süße Nass ist ein großer Luxus. Wir können es kaum fassen, waschen unsere Kleider und uns. Trinkwasser, Licht, Luft und Sonne ist das wichtigste im Leben. Hier haben wir alles an einem Fleck. Und Sandmücken. Die sind allerdings weniger willkommen. Natürlich stürzen sie sich nur auf mich. An dem einen Abend an dem ich meine Shorts trage, werde ich über 200 mal gebissen. Sie plagen mich gute vier Wochen lang. Es sind knallharte Biester. J. trägt seit Tagen seine Shorts und bleibt verschont. Sogar die verdammten Mücken arbeiten für das Patriarchat!!!
Campen und Trampen passen gut zusammen. Wir bekommen direkten Kontakt zu den Einheimischen und fahren mit Autos, auf Lastwagen und Ladeflächen. Die Ladeflächen sind die Schönsten wegen des ungehinderten Blicks auf die Landschaft, dem Rückwärtsfahren, der Freiheit. Am liebsten würde ich auf der Ladefläche um die Welt reisen. Aber das bleibt für uns ein kurzes Vergnügen. Bald müssen wir absteigen, um nicht von der Polizeikontrolle aufgegabelt zu werden. Wir sprechen mit vielen unterschiedlichen Menschen (wenn man bedenkt wie wenige hier draußen leben). Die Unterhaltungen sind oberflächlich. Es ist eine Art der Kommunikation, die mich langweilt. Lange werde ich mit dieser Art zu reisen nicht glücklich sein. Für den Moment ist es allerdings genau das Richtige.
Auf einer der zahllosen Rückbänke werde ich von einer schwarzverhüllten Frau in ihrer Argumentation gegen den Hijab instrumentalisiert. Sie versucht ihrem Mann zu vermitteln, dass sie das blöde Tuch nicht braucht. Er lässt sich nicht überzeugen. Ich schaue sie mit großen Augen an. Sie ist die schönste Frau, der ich jemals begegnet bin. Sie hat große Lippen, große Augen, einen leichten Bogen in der Nase und eine schmale Figur. Sie ist der Inbegriff der zerbrechlichen Frau. Nur das Feuer in ihren Augen verrät diesen Eindruck. Anders als alle iranischen Frauen, denen ich bisher begegnet bin, ist sie völlig ungeschminkt. Eine Wüstenblume der feinsten Art. Ihr Gesicht wird mir für immer in Erinnerung bleiben.
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