MEIN INDISCHES WEIHNACHTEN

English text
Nachttisch Buddha, Delhi, Indien

Dies ist mein zweites Weihnachten auf meiner Reise und entgegen aller vorher gemachten Pläne, verbringe ich es in Delhi. Ich bin so beschäftigt mit mir selbst, dass kein Weihnachtsgefühl eintritt. Ich habe irgendwo in meinem Kopf die Idee Plätzchen zu backen um wenigstens ein bisschen weihnachtlich unterwegs zu sein. Als ich am 24.12. im lokalen Supermarkt um die Ecke stehe und weder Mehl, noch Mandeln oder Eier sehe - nicht weil es sie nicht gibt, einfach weil ich blind bin – gebe ich diesen Plan schnell auf. Ich habe weder die Zutaten, noch traue ich dem kleinen elektrischen Ofen in der Küche zu, meinen Anforderungen gerecht zu werden. Es erscheint mir zu riskant. Meine Lösung ist Starbucks. Ich kaufe ein Stück einer Schoko- und einer Möhrentorte - weil ich mich mal wieder nicht entscheiden kann, eine Packung Oreos und indische Schokokekse. Danach bitte ich A. darum, mir den Weg zum „liquor store“ zu zeigen, woraufhin er mich ins Auto packt, um die Ecke fährt und mich fürsorglich in die dunklen Gassen des verfallenen Einkaufshauses begleitet. Ich kaufe zwei Biere und einen von A. empfohlenen Rotwein („Miss J. always drinks it, it's good.“ Ich wünschte ich könnte den indischen Akzent imitieren. Leider ist meine Imitation eine Beleidigung. Ich werde trotzdem für immer entzückt schmunzeln wenn ich ihn höre.) Danach bitte ich A. mich schnell beim N-Block Market rauszulassen. Es ist die lokale etwas schickere Einkaufsmeile (wenn man das so nennen kann). Dort kaufe ich mir noch einen Cappuccino. Um mich ein wenig zu bewegen gehe ich einmal um den gesamten Platz. Als ich fast am gegenüberliegenden Ende angekommen bin sehe ich einen indischen Weihnachtsmann auf einem von einer weißen Mär gezogenen Wagen. Aus einem der zahlreichen Läden schallt eine britische Version von Jingle Bells und plötzlich bin ich voll in Stimmung. Durch Zufall fällt mein Blick auf einen Dekoladen und einem Impuls folgend kaufe ich zwei Hände voller Teelichter mit Lavendelgeruch. Ich weiß genau, was ich machen werde. Ich werde mich heiß Duschen (ein Luxus), mich in Lavendel hüllen, Kuchen essen und Rotwein schlürfen, ein Buch lesen und mit meiner Familie skypen. Nicht sehr weihnachtlich im deutschen Sinne, aber ganz nach meinem Herzen.

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Kaum wird es dunkel mache ich die Kerzen an, gieße mir den Rotwein in ein Weinglas und braue Tee auf. Ich möchte schließlich nicht total betrunken werden. (Nachdem ich schon seit Georgien keinen Rotwein mehr getrunken habe.) Dann beginne ich ein Buch zu lesen, welches mir ein paar Tage zuvor von P., einer neuen indischen Bekanntschaft aus J. Zirkeln, empfohlen wurde. Es ist das beste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Voller Bewunderung versinke ich in die poetischste Variante von „creative non-fiction“, die ich bisher die Freude hatte zu lesen. „A Handbook For My Lover“ von Rosalyn d'Mello ist in großartiges Buch, mit einem Prolog den ich immer wieder lese, ihn laut rezitiere und kichernd beiseite lege. Der Text spricht mich auf allen Ebenen an. Er ist ehrlich, schamlos, entzückend und einfach gut geschrieben. Das Buch ist literarisch, verwendet Form und poetische Tricks mit einer Eleganz, die mich zum Lachen bringt. Rosalyn d'Mello macht keine Anfängerfehler, macht keine Kompromisse und bleibt die ganze Zeit bei sich. Ich bin tief beeindruckt und verbringe den restlichen Abend in einer Wolke von Entspannung und der Ekstase intellektueller Entdeckung.

Wenn Texte Flügel verleihen, Delhi, Indien

Das unvermeidliche Skypegespräch mit meiner versammelten Familie ist schön, ein wildes Hin und Her mit aufgeregten Neffen und müden Erwachsenen. Dieses Jahr versammelt sich ein Großteil meiner Familie bei meiner Schwester. Zum ersten Mal wird das Weihnachtsfest nicht in den elterlichen vier Wänden begangen. Diese fundamentale Veränderung bringt es mit sich, dass sich meine Nostalgie in Grenzen hält. Ich bin noch nicht bereit, das heimatliche Ritual zu ersetzen oder neu zu erfinden. Jedoch bin ich sehr wohl dazu bereit, das Weihnachtsfest alleine und in der Fremde zu begehen und es ganz nach meinem Gutdünken zu einem besinnlichen und freudengefüllten Abend zu gestalten. So ganz verstehe ich mich in diesem Punkt noch nicht, lasse es jedoch einfach stehen. Erwachsenwerden hält sich an keine Regeln.

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Für den 25. bin ich zum Familienlunch der weitverzweigten Familie W. eingeladen. Hier ist man es gewohnt den Besuch der Großfamilie zu integrieren und zu umsorgen. Zu meiner Überraschung wurde in Vorbereitung des Festes eine E-Mail mit einem Bild von mir herum geschickt. Wie in einem Firmennewsletter wurde die Familie bereits über meine Pläne, meine Reise und meinen Beruf informiert. Was zu einer Aneinanderreihung von amüsanten Gesprächen führt. Zunächst weiß jeder wer ich bin. Ich jedoch habe keinen blassen Schimmer. Mit Mühe ordne ich die Gesichter der Menschen zu, denen ich bereits bei einem vorangegangenen Lunch begegnet bin. Jedoch hatte ich auch bei ihnen erst nachdem ich gegangen war richtig verstanden wie sie im Verhältnis zu meiner Freundin standen. Selbst meine eigene Familie empfinde ich als eine einschüchternde Menschenmenge. Die W. waren erfrischend freundlich und nicht minder einschüchternd. Zu Beginn stehe ich etwas schüchtern am Rand und weiß nicht, wohin mit mir. Ich unterhalte mich freundlich mit einigen älteren Damen, deren Eleganz ich staunend begegne. Kaum traue ich mich zu sagen, wie wunderschön ihre Saris sind. Aber das sind sie. Sorgfältig bestickt in tollen Farben, gebunden in mir unverständlichen Faltenwürfen. Diese Familie bildet etwas ab, was mir in Indien schon öfter ins Auge gestochen ist. Es gibt ein paar Saris, jedoch genau so viele westlich gekleidete Frauen. Fast ein wenig amerikanisch wirken die in Grün- und Rottönen gehaltenen Kleidungsstücke (eine Familientradition wie man mir erklärt). Ich bin komplett blau gekleidet, mit ein paar grünen Farbtönen auf meiner frisch gekauften kurzen Tunika. Ein bisschen indisch, aber nicht zu indisch, hatte ich mir beim Kauf gedacht. Ein Balanceakt. Diesen Balanceakt gibt es in Indien nicht. Entweder- oder. Hier scheut man nicht zurück vor Gegensätzen. Anfängerfehler. Für die Inder ist das hier ganz einfach. Es gibt die traditionellen, die gerne Saris tragen, und die die es nicht so gerne tun. Beides ist in Ordnung. Dabei erlebe ich auch die westlich gekleideten Menschen als sehr indisch. Für mich ist es kompliziert dieses Nebeneinander zu verstehen, denn was Inder mir als „normal“ unter die Nase schieben, ist es natürlich für mich nicht. Die Unterschiede sind so offensichtlich und so dezent wie in der Sprache. Obwohl ausnahmslos exzellentes Englisch gesprochen wird, höre ich immer den charakteristischen indischen Akzent. Oft muss ich nachfragen, weil ich es einfach nicht verstehe. Manchmal liegt das an der Betonung bekannter Wörter, andere Male daran das Neuwortschöpfungen verwendet werden. Hier in Indien heißt es zum Beispiel nicht „I took a picture“ sondern „I clicked that“. Eine Terminologie die mir so gut gefällt, dass ich sie in meinen Wortschatz übernehme.

Weihnachtsbrunch bei Familie W., Delhi, Indien

Das Essen ist himmlisch, jedoch komme ich ins Schwitzen, als ich sehe, mit welcher Selbstverständlichkeit man es hier mit den Händen isst. Das Problem liegt an dieser Stelle weniger in meinen Händen, als in der Kombination von im Stehen essen und sich unterhalten. Ich kann nicht anders, als meine Unwissenheit als Eisbrecher zu verwenden. Wem auch immer ich am Buffet begegne frage ich nach Tipps. Wie isst man dies, wie isst man jenes? Ich lerne an diesem Vormittag Roti (eine Art Fladenbrot) mit einer Hand zu zerreißen indem ich den Teller mit der linken Hand balanciere und das Brot zwischen Daumen und Mittelfinger halte aber gleichzeitig mit dem Zeigefinger das Roti gegen den Teller drücke. Bald gelingt es mir, den Fladen in kleine mundgerechte Stücke zu reißen und nach einigen konzentrierten Versuchen schaffe ich es sogar, meinem Gegenüber während der Prozedur zuzuhören.

Alle sind sehr freundlich und helfen gerne. Einige haben Mitleid mit mir. Ich muss erbärmlich aussehen. Mir macht das alles wenig aus, denn ich fühle mich wohl in der Rolle der Lernenden. Ich bin es inzwischen gewohnt, blöd dazustehen und den Einheimischen ein Quell des Amüsements zu sein. An diesem Vormittag probiere ich die meisten der Sachen, an denen ich auf der Straße bisher vorsichtig vorbeigelaufen bin. Alles schmeckt lecker. Nichts ist so fremd, dass es mir widerwärtig wäre. Es gibt zum Beispiel Teigkugeln, die innen hol sind und in die eine Flüssigkeit mit Geschmack und Gemüsestückchen hineingefüllt wird. Man steckt sie schnell in den Mund, macht einen Biss und schluckt. Man nennt sie Pani Puri oder auch Gol Gappa. Außerdem gibt es noch ein merkwürdiges Gemisch von weißer, grüner und roter Sauce, die über etwas chips ähnliches drüber gegossen wird. Den Namen habe ich vergessen. Darauf folgen verschiedene Erbsen- und Linseneintöpfe, sowie Saucen, die man mit verschiedenen Roti Versionen aufnimmt und isst. Natürlich heißen die Brote nicht alle gleich, aber es sind so viele Namen, dass ich sie mir bei aller Liebe nicht merken konnte. Einige sind frittiert, andere im Ofen gebacken oder über der offenen Flamme gebrannt. Sie werden mit unterschiedlichen Mehlsorten hergestellt, haben unterschiedliche Farben und unterschiedliche Größen und Dicken. Mit anderen Worten, sie haben nichts miteinander gemein. Und doch sind alles Fladenbrote.

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Wieder zurück in meinen eigenen vier Wänden bin ich komplett erschöpf von den vielen Gesprächen, lege mich in mein Bett, nehme mein fantastisches Buch wieder auf und gönne meinem Kopf eine Pause. Ein ganz anderes, aber durch und durch gelungenes Weihnachtsfest.

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