Kunming ist eine große Stadt. Nicht in den Augen der Chinesen, aber für mich schon. Dabei hat es nur 6,7 Millionen Einwohner. Das gibt es in China häufiger. Am Bahnhof steige ich zum ersten mal mit meinem gesamten Gepäck auf einen Skooter. In der Abenddämmerung gleite ich durch den Verkehr, nach hinten gelehnt, damit ich den Fahrer nicht berühren muss. Ich und mein Gepäck sind ziemlich schwer und somit schlagen wir bei jedem größeren Buckel auf die Stoßdämpfer. Es ist erfrischend, das Haar wehen zu lassen und die Nase in den Fahrtwind zu strecken. Mit einer Hand halte ich mich fest, mit der anderen werfe ich einen Blick auf die Karte. Ich bin an einen guten Fahrer gekommen. Er nimmt den direkten Weg, macht keine Umwege und redet nicht. Ganz nach meinem Geschmack.
Mein Aufenthalt in Kunming nimmt unvorhergesehene Gestalt an, als ich in meinen Schlafsaal stolpere und dort N. aus Israel treffe. Sie ist auch alleine unterwegs und hat gehörig die Schnauze voll. In vielen Aspekten erinnert sie mich an mich selbst vor einem Jahr, als ich in Finland ankam. Ich war total überfremdet und ein wenig verzweifelt auf der Suche nach einem sicheren Ort und einer Pause. Inzwischen ist dieses Gefühl zu meiner Normalität geworden und ich habe gelernt die Alarmglocken in meinem Kopf auf ein erträgliches Maß hinunter zu regulieren. Zusammen laufen wir durch das Zentrum und probieren, was uns ins Auge springt. Wir wechseln uns ab mit dem Kommunizieren und stürzen gemeinsam in das Geschmacksuniversum China. Wir essen Pizza, welche in Holzfässern gebacken wird. Am Boden befindet sich glühende Kohle, der Teig wird befeuchtet und dann an die senkrechte Holzwand geklatscht. Das Resultat ist eine hauchdünner, kreisrunder Teig, der mit Huhn und Lauch gefüllt ist. Serviert wird es in einem Papiertütchen. Wir brauchen ungefähr zehn Minuten, dann ist es alle. Und das auch nur wegen der Hitze, die aus jeder Pore strömt. Zum Frühstück schlängeln wir uns entlang der Essensmärkte, probieren ein wrapartiges Eigericht, Nudelsuppen und finden irgendwann unseren absoluten Favoriten. Ein kleines Restaurant mit vier oder fünf Gerichten in dem vor allem die Einheimischen essen. Mit Mühe schaffen wir es etwas zu bestellen. Und als das Essen nach kurzer Zeit kommt, öffnen sich alle Geschmackspforten. Ein Hühnereintopf mit genug Schärfe, um uns ins Schwitzen zu bringen, genug Süße um uns süchtig und genug Kartoffeln, um uns satt zu machen. Eine Sternanis lässt uns ein paar Geschmäcker zuordnen. Auch fische ich Nelken aus dem Sud, aber so ganz endgültig ist uns nicht klar, was dieses Gericht so atemberaubend gut macht. Mir ist jetzt schon klar, dass ich Zeit investieren werde, um dem auf die Spur zu gehen und es zubereiten zu lernen. Aber nicht nur der Eintopf war super lecker, auch das Reisgericht mit Ei. Wo auch immer der Reis seinen Geschmack her bekam, die Kombination mit dem eingelegten Ei und den vereinzelt darüber gestreuten Hühnerstückchen war ein Gedicht. Nur den Tofu konnte ich nicht genießen. Mir wird gesagt, entweder man liebt es, oder eben nicht. Und ich bin auch in China, eine von der nicht liebenden Fraktion.
Jeden Tag laufen N. und ich dieselbe Strecke durch die Stadt. Zunächst um durch die Stadt zu spazieren, später jedoch weil wir ein kaputtes Handy reparieren müssen, um den Kaffee eines bestimmten Cafés zu trinken oder weil wir den Tempel IMMER noch nicht besucht haben. Und jedes Mal erleben wir die Stadt ein wenig anders. Einmal regnet es in Strömen und wir werden pitschnass, ein anderes mal funkeln die Lichter der Stadt in den Seen. Morgens hängt das Grau der Wolken über dem gelassenen Treiben der Stadt, mittags wird es ruhig, am Nachmittag geschäftig und am Abend entsteht ein Rummel aus sporttreibenden Berufstätigen mit ihren Hunden. Wir laufen durch die Universität und ein paar Parks, hören den älteren Menschen beim Musik machen zu, wundern uns über die Parkkultur und lachen über die uns fremde Art der Musik zu begegnen. Aber wir freuen uns auch über die ständig aufkommenden grünen Oasen, die so offensichtlich der Mittelpunkt des städtischen Lebens sind.
Kunming lässt mich bereuen, so schnell aus China fortzugehen. Die Straßen sind gut, die Hotels ebenfalls und Essen findet man immer und überall. Um mich zu tröstend beschließe ich, im Alter einmal zurückzukommen. Es läuft mir nicht davon.
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Alla (Saturday, 06 October 2018 16:12)
Oh, liebe Bella, ich will nicht sagen, ich hatte dich gewarnt - aber doch, so war es;) China ist ein ganzes Universum, wie will man diesem so schnell wieder den Rücken kehren?
Bella (Saturday, 06 October 2018 17:13)
Ja, Alla! Total! :-) Ich habe einige Male an dich gedacht!