Jaipur beginnt mit dem Kampf um eine passende Rikscha. Ein wichtiger Moment, da man von allen Seiten von Rikschafahrern bestürmt wird, die etwas Geld verdienen wollen. Jedoch weiß niemand wo mein Hostel ist (keine Seltenheit). Ich lasse mich vom Rikschafahrer meiner Wahl bis ins Zentrum fahren und steige irgendwann aus, nachdem er mich willentlich in die falsche Richtung bringt, auf meine Richtungsweisungen nicht reagiert und letztendlich im Stau stecken bleibt. Dank meiner Maps.me App bin ich vorbildlich orientiert. Ich gebe ihm die zu Beginn abgemachten 100 Rupie und laufe wutschnaubend davon. Taxifahrer und Rikschafahrer sind die schlimmste Berufsgruppe auf der Welt. Sie sind überall und nie vertrauenswürdig. Sich darüber zu echauffieren ist völlig unproduktiv und trotzdem tue ich es immer wieder.
Jaipur ist einmal mehr eine Stadt, die den Beinahmen die Pinke trägt. Mein erster Ausflug führt mich hoch zu einer der zahlreichen Forts, die das Stadtbild prägen und bei Sonnenaufgang erscheint im Smog tatsächlich alles Rosarot. Den Namen trägt die Stadt natürlich nicht wegen ihrer Sonnenaufgänge, sondern wegen ihrer in Pink gehaltenen Altstadt. Dieses Pink ist schon lange verblichen, die Mauern bröckeln und doch ist der längst vergangene Glanz seiner Hochzeit noch deutlich zu sehen. Wie großartig die Empfänge gewesen sein müssen, wie beindruckend die Herrschaftshäuser. Meinen ersten Ausflug um diese längst vergangene Welt zu besichtigen mache ich zusammen mit M., einem britischen Künstler. Wir tun uns zusammen, weil wir beide aus demselben Grund am frühen Morgen gegen 5 Uhr auf die ausgestorbenen Straßen Jaipurs stolpern. Er, weil er malen möchte und ich um zu fotografieren. Wir sind uns nicht sicher ob wir das alleine wirklich gemacht hätten, aber zusammen ist die Rikscha nur halb so teuer und das Ruckeln durch die engen, dunklen Gassen nur halb so gruselig.
Wir sind nicht die Einzigen, die es so früh zu der Festung zieht, aber da das Gelände riesig und die Gemäuer weitläufig sind, finden wir ohne Probleme einen isolierten Platz an dem M. seine riesige Zeichenmappe ausbreiten und ich in aller Ruhe und ohne zurückgepfiffen zu werden auf die Mauer klettern kann. Es ist ruhig und entspannt, nur das Gezeter der Vögel zerreißt die uns umgebende Stille. Außer den allgegenwärtigen Krähen, kenne ich keinen der Vögel. Sie sind bunt und klein, manchmal laut, manchmal leise und melodisch. Wir verweilen lange, sind einfach nur da, sehen wie der Ort sich im Licht verändert und wie es immer lebhafter wird.
Zurück im Hostel stürzen wir uns auf die Reste des Frühstücks, beginnen ein Gespräch mit zwei Australiern und ich bereite mich darauf vor endlich die Stadt zu erkunden. Bekannte aus Delhi haben mir Tipps gegeben und ich bin fest entschlossen wenigstens den kulinarischen Köstlichkeiten auf die Spur zu kommen. Jedoch kommt alles anders, da J., der Franzose mit dem ich durch den Iran getrampt bin, zufällig in Jaipur ankommt. Natürlich gibt es eine kleines Wiedersehen. Zusammen kraxeln wir auf zwei weitere Festungen (davon gibt es in Jaipur viele), streifen durch die Gassen und essen Streetfood. Alleine habe ich mich hier noch nicht so frei und unbekümmert bewegt. Der Iran steckt mir noch tief in den Knochen. Wie immer ist J. viel dichter dran, viel unmittelbarer in den ärmsten Schichten unterwegs. Er hat bereits im Slum geschlafen, mit den Ärmsten und den Reichsten gelebt. Seine Geschichten sind wie immer wild und ich muss mir eingestehen, dass ich froh bin, diese Geschichten nicht erleben zu müssen. Sie zehren viel Kraft und bringen Erkenntnisse die von meinen nicht zu weit entfernt sind.
Unterwegs mit J. sehe ich meinen ersten Elefanten. Ich habe erwartet, dass das für mich ein besonderer Moment sein würde, aber das ist es nicht. Zwar beeindrucken mich diese riesigen Wesen, aber mein Blick bleibt hängen an ihren traurig-trüben Augen, den abgeschnittenen Elfenbeinzähnen und den langsamen lustlosen Schritten. Voll Widerwillen fällt mein Blick auf die Füße der Elefantenreiter, die den Elefanten hartnäckig hinter den Ohren in den Hals treten und sie mit einem Strick würgen. Hier arbeitet jedes Wesen für seinen Lebensunterhalt. Die anderen Touristen scheint das nicht zu stören. Indien ist wie es ist. Hier haben die meisten Menschen keine eigene Toilette, jedes Wesen arbeitet und niemand ist jemals wirklich sauber. Hier wird nichts versteckt. Da ist eine Ehrlichkeit, die mich mehr beeindruckt als schockiert. Schnell gewöhne ich mich an in der Öffentlichkeit kackende Menschen, kann sogar eine gewisse Faszination für die Frauen entwickeln, die ihre Röcke in den delikatesten Momenten zum Schutz zu verwenden wissen. Aus ihren Bewegungen spricht Routine und Jahrhunderte langes Training. Was mich dabei jedoch am meisten erschüttert (und später amüsiert) ist, dass wenn man mit dem Nachtzug unterwegs ist, morgens sieht, wie jedermann die Schienen als Toilette verwendet. Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land geht man ob ein Zug kommt oder nicht, erstmal zu den Schienen. Mein Entsetzen wandelt sich bald in Amüsement um. Schließlich habe ich noch nie in meinem Leben jemandem anderen zugesehen, wie er sich entleert- ausgenommen meine Neffen. Aus was für einer Gesellschaft komme ich, wo etwas so Banales, so tabuisiert wird?
Abends beobachte ich aus dem großen Fenster meines Hostels einen Obdachlosen, der sich auf dem Gehsteig gegenüber hinlegt um zu schlafen. Wir befinden uns schräg gegenüber einer Polizeistation und er scheint sich sicher zu fühlen. Sobald er sich entspannt kommt eine Gruppe Halbstarker, nimmt ihm das Geld aus der Tasche und tritt ihm in den Magen. Er braucht lange, bevor er irgendwas bemerkt, ich nehme an, er hat etwas genommen. Das ist die Kehrseite. So bunt und lehrreich Indien in einem Moment ist, so grausam und erbarmungslos ist es im anderen.
***
Aggra ist der zweite Stop auf meiner Tour durch Nordindien und obwohl J. mich bereits gewarnt hat, kann ich die Hoffnung auf etwas Spektakuläres nicht ganz hinter mir lassen. Ich werde bitterlich enttäuscht. Zwar entstehen die zu erwartenden Bilder, aber mehr als Symmetrie hat das Taj nicht zu bieten. Es ist Staub und Stein umgeben von den unerfreulichsten Menschen, denen ich bisher das Unglück hatte zu begegnen. Aber nicht nur die Inder hier sind unerfreulich, die Touristen auch. Hier sehe ich eine Gruppe von Europäerinnen in schlecht gebundenen Saris mit schwarzen T-Shirts als Unterhemden. In der Gruppe posieren sie vor dem Taj Mahal. Sie betragen sich so unsensibel, so kulturell ungebildet und gedankenlos, dass sie mir die Schamröte in die Wangen treiben. Die mitleidigen Blicke der Inderinnen machen es nur minimal erträglicher, denn sie bestätigen, dass ich nicht ganz isoliert in meiner Sicht der Dinge bin. Das Taj ist gänzlich enttäuschend, da ich atemberaubendere Architektur im Iran gesehen habe. Dort ist sie angefüllt, nicht nur mit Symmetrie, sondern mit Kunsthandwerk und Raffinesse. Man kann stundenlang von Raum zu Raum gehen und sich in der sich immer wieder neu eröffnenden Symmetrie verlieren. Das Taj braucht die Geschichte, das Narrativ um zu beeindrucken. Ohne sie ist es ein leeres Gebäude.
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