INSEL HORMUZ

English text
Der Blick, Hormuz, Iran

Der Wind weht um unsere Nase und die Menschen tummeln sich am Hafen. Wieder einmal hat J. Freundschaft geschlossen mit einem jungen Iraner, der so wenig Interesse an mir hat, dass ich mich dabei ertappe, ihn nach iranischen Maßstäben zu verurteilen. Über dreißig, nicht verheiratet, interessiert an dem hübschen, mittlerweile blonden J., der zu allem Überfluss auch noch einen Ohrring trägt. Für Iraner, der schlagende Beweis für seine sexuelle Orientierung. Ein Umstand, der mich zunächst Schmunzeln läßt, als er jedoch spontan entscheidet mit uns zu kommen, gerate ich ins Grübeln. Gemeinsam fahren wir in einer der umgebauten Vespas zur schönsten Ecke der Insel. Trotz all meiner Bedenken und Zweifel an J.s Art zu reisen, komme ich nicht umhin schätzen zu lernen wie schnell er uns dahin bringt, wo wir uns hin träumten. Natürlich ist alles unvorhersehbar, Glück und Zufall, jedoch gibt es einige Momente, bei denen ich mich vor Ungläubigkeit in den Arm zwicken muss.

TukTuk fahren, Hormuz, Iran

Am ersten Tag laufen wir bei Sonnenuntergang zu einer Klippe, die wie gemacht ist zum Fotografieren. Zwei Pferdekopffelsen bäumen sich wild über das Meer. Dann wird es langsam dunkel, der Himmel nimmt die Farbe des Bodens an und alles versinkt in rosa Farbtönen. Wir laufen, bis der Boden grau wird und biegen dann ab in eine Schlucht. Nach einigem Klettern stehen wir umringt von weißen, im Mondlicht funkelnden Gesteinen. Das einzig beunruhigende an diesem Ort sind die losen Steine, die von Zeit zu Zeit die Felswand herunter kugeln. Ich atme tief durch. Obwohl ich am liebsten hier bleiben würde, schließlich sieht es hier aus wie in der unendlichen Geschichte, gehen die anderen weiter. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

Inselkarte, Hormuz, Iran

Mit unseren Rucksäcken auf dem Rücken straucheln wir die Schlucht entlang, bis wir an einem langen breiten Strand ankommen. Wir sind nicht alleine. Unsere Mitcamper sind junge Männer. Und wir fragen uns, hat er uns an einen der einschlägigen Strände gebracht? Zu dem Zeitpunkt hatten wir weder den leuchtenden Plankton, noch das regenbogenfarbige Gestein gesehen und konnten nicht ganz verstehen, warum dieser Strand besser war, als die anderen an denen wir vorbeigelaufen waren. Als ich glaube zu sehen, wie sich zwei der Männer im Dunklen umarmen, bin ich mir sicher. Wir sind im Paradies. Ich fühle mich durch die Überzahl an uninteressierten Männern an diesem Strand sicher und unbedroht und traue mich so, ohne mein Überzelt zu schlafen. J. schläft mit Überzelt.

Steine in Rosenform, in Gedanken in Yervan, Hormuz, Iran

Am Lagerfeuer stellt sich heraus, dass die drei anderen Männer genauso wie wir eine Gruppe von spontan zusammengewürfelten Reisenden sind. Einer von ihnen, ein Deutscher, ist von Beruf Sportler. Ein Wintersportler, aber ich habe schon wieder vergessen welcher, vielleicht Eishockey? Es ist ein netter Moment mit Tee, Gedanken an Finnland und meine Muttersprache.

Der rote Sand färbt das Wasser Rosa, Hormuz, Iran

Am nächsten Morgen, nach einem traumhaften Sonnenaufgang und einem spärlichen Frühstück, zieht es uns auf Entdeckungstour. Wir laufen zunächst der Sonne entgegen zum rosaroten Strand, ein Touristenmagnet, um dann umzudrehen und über die unwägbaren Klippen auf die anderen Seite zu klettern. Auch hier riskieren wir mal wieder unser Leben. Ich komme nicht umhin, an meine sorgfältige und viel vorsichtigere Schwester zu denken, die in solchen Situationen immer in meinem Kopf auftaucht. Ich weiß genau, dass ich gerade etwas Dummes tue, aber wie sonst würde ich dieses komplett entdeckte Eiland für mich erkunden? So sehen wir einschüchternde weiße, rote und gelbe Felswände, Riesenschildkröten, die bei der Brandung nach Luft schnappen und unendlich viele Krebse, Muscheln und den allgegenwärtigen Müll.

Wasserschildkröten, Hormuz, Iran

Da wir nur zwei Nächte haben, beschließen wir in der Mittagshitze einen neuen Strand zu suchen. Wir haben schon beim Verlassen des ersten Strandes nicht mehr genug Wasser. Die gnadenlose Mittagshitze fordert ihren Zoll. Beide ziemlich ausgetrocknet, ergattern wir eine 1,5 Liter Flasche Wasser und ziehen los, als die nächste Gruppe von iranischen Jugendlichen uns in der weißfunkelnden Schlucht entgegen kommt. Tagsüber ist sie nicht halb so beeindruckend wie in der Nacht.

J. in der weiß funkelnden Schlucht, Hormuz, Iran

Wir laufen eine Weile mit unseren zwanzig Kilogram schweren Rucksäcken die sandige Straße entlang. Es dauerte wie immer nicht lange, bis wir das einzige Fahrzeug, das unseren Weg teilte, uns zu eigen machen. Wir werden fast bis vor die Haustür unseres nächsten Nachtlagers gefahren. Da es mittlerweile weit über dreißig Grad hat und jede Bewegung zu viel ist, kommen wir Schweiß gebadet am Strand an. Unser Wassermangel hält uns bis lange nach Sonnenuntergang wach. J. steht irgendwann auf, um Wasser zu holen. Er verschwindet in der Dunkelheit um zehn Minuten später mit einer extra großen Flasche wieder aufzutauchen. Zwei Stunden vorher, als er eine Gabel aus dem Sand zog, nachdem ich den zweiten Abend in folge mein Besteck nicht fand hatte er frech gesagt: „Wenn du etwas wirklich brauchst, findest du es.“ Auch Wasser in einer gekühlten Flasche auf einer Insel, mit nur einem Ort zehn Kilometer von unserer Position entfernt, mitten in der Nacht. J. steht auf, trifft jemanden, fragt und bekommt ein Wasser.

Am nächsten Tag laufen wir so weit wir können, wieder ohne genug Wasser, die zehn Kilometer bis zum Hafen. Auf dem Eiland gibt es nur eine Straße und so setzen wir einen Schritt vor den anderen. Wir laufen aus den Bergen heraus auf einen großen Salzsee. Auf der einen Seite fällt er ins Meer, auf der anderen heben sich die Berge in sicherer Entfernung aus dem Boden. Sie haben auch hier unterschiedliche Farben. Es ist gleichzeitig unwirklich, schön und harsch. Nach der Hälfte des Weges geben wir auf und steigen in die Müllabfuhr, die uns fast bis zum Hafen bringt. Hier beginne ich zum ersten Mal im Iran Zeit und Raum zu vergessen. Ich bin einfach nur hier. Es wird schon alles gut gehen.

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