I KNOW WHERE I'M GOING (1945)

English text
Selbstportrait beim Problemlösen, Nagarkot, Nepal

Eines Morgens in meiner zweiten Woche in Nagarkot wache ich auf und finde eine E-Mail aus China. Meine geplante Einreise nach Tibet ist unmöglich, da das Tibetische Neujahr auf meine Reisedaten fällt. Entweder ich fliege noch diese Woche (Anfang Februar) nach Tibet oder ich muss bis April warten, um über die Grenze gelassen zu werden.

Entnervt grummelnd klappe ich meinen Laptop zu und drehe mich um. Meine Wollmütze hat sich während des Schlafens von meinem Kopf gelöst und drückt mir jetzt auf die Nase. Mein Atem steht in der Luft. Die Kälte hält mich bewegungslos in meinem Bett. Aus meinen Nachbarzimmern habe ich noch nichts gehört. Also kann ich mich noch ein wenig bemitleiden. So sicher war ich gewesen, dass alles geplant war. So sicher, dass das Engagieren eines Reisebüros alles vereinfachen würde und trotzdem liege ich jetzt hier und muss alles neu denken. Die Entscheidung fällt schnell, da mir das Flugzeug nach Indien noch auf das Ego drückt. Ich beschließe zu warten. Aber so schnell wieder warten zu müssen, wenn ich doch gerade erst aus Indien losgezogen bin, irritiert mich. Ich werde mein Visum verlängern müssen (120€ zusätzlich zu den bereits gezahlten 40€), werde noch mehr Dinge zu tun finden müssen. Jedoch wird es nicht genug Zeit sein, um irgendwo für Kost und Logis zu arbeiten. Das liegt daran, dass Nepal überflutet wird von Freiwilligen, die keine relevanten Skills haben. Hier weiß man nie, ob man einem Wohltätigkeitsbetrug auf den Leim geht oder ob man tatsächlichen Mehrwert schafft. Es ist zwar relativ günstig Urlaub zu machen, für mich liegt darin jedoch wenig Vorteil, da ich am Urlaub machen nicht interessiert bin.

Straßenlaterne, Nagarkot, Nepal

Weil ich mir selbst im Augenblick nicht weiterhelfen kann, gehe ich auf Youtube-Entdeckungsreise. Ich finde eine ausführliche Gesprächsrunde mit den oscarnominierten Regisseuren des Jahres 2017 und folge den Antworten auf die Frage: welchen Film würden sie auf eine tropische Insel mitnehmen? Die gegebene Antwort? I Know Where I'm Going (1945). Ein Film der meine Situation treffend skizziert. Eine junge Frau ist unterwegs zu einer Insel vor dem schottischen Festland. Sie soll dort einen reichen Fabrikanten heiraten. Und obwohl sie einen gut organisierten Reiseplan hat, geht alles schief. (Erst hier beginnen die Ähnlichkeiten.) Denn obwohl sie Hilfe immer wieder zurückweist mit dem Satz „I know where I'm going“ hilft ihr das Wissen wenig. Genau so geht es mir. Ich reise um die Welt ohne Flugzeug (das bleibt der Plan). Ich weiß, wo ich hin muss. Immer. Denn ohne Ziel gibt es keine Bewegung. Also habe ich eine Millionen verschiedener Ziele. Aber ständig ändert sich etwas. Die Hindernisse werfen sich mir in den Weg und ich verbringe viel zu viel Zeit damit, die immer gleichen Pläne neu zu schmieden. Viel zu häufig erwische ich mich dabei zu betonen, dass ich weiß was ich tue. Nur weiß ich nicht, wie ich es tun soll.

Der Titel gebende Film

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zum Tempel, um ein wenig alleine zu sein. Dort oben bei fantastischer Sicht, grübele ich darüber nach, was ich tun soll. Was fange ich mit meiner Zeit hier an? Ich habe fast keine Chance, Kontakt zu einheimischen Frauen meines Alters aufzubauen, da sie damit beschäftigt sind, ihre Kinder groß zu ziehen oder im Garten oder auf dem Feld arbeiten. Die meisten wurden vor ihrem sechzehnten Lebensjahr aus der Schule genommen, um zu heiraten. Sie sprechen demnach kein Englisch. Auseinandersetzungen mit nepalesischen Männern werden schnell unangenehm. Ich finde nicht wirklich einen Weg in die Kultur, denn selbst hier in meinem Homestay, ist es eine Transaktion. Ohne meinen finanziellen Beitrag stünden mir die Pforten nicht offen. Es ist kein Geben und Nehmen. Zumindest nicht auf gleicher Ebene. Ich zahle für meinen Unterhalt, aber muss mich trotzdem in einen fremden Alltag einfügen. Zweimal am Tag Dal Bhat essen und zum Frühstück Porridge mit Zucker. Und somit stellt sich mir die Frage, wenn ich sowieso Geld ausgebe, warum genieße ich dann nicht die Freiheit selber zu kochen oder wenigstens das zu essen, was ich will? Ich entschließe mich dazu, meine bisher gemachten Pläne beizubehalten und das Problem neu anzugehen, wenn ich mehr weiß.

***

Nach meinen zwei Wochen im Homestay in Nagarkot ist Pokhara mein nächstes Ziel. Ich setzte mich in einen Bus, der mich nach Bakthapur (20km/1h) bringt, steige dort um in einen Bus nach Kathmandu (15km/1h). Dort steige ich eine Nacht ab in einem furchtbaren Hostel, um am nächsten Morgen die 150 km nach Pokhara hinter mich zu bringen: acht Stunden und 18.837 Schlaglöcher später falle ich etwas durchgeschüttelt aus meinem Bus heraus.

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