Das letzte Mal so richtig glücklich war ich - soweit ich mich erinnere - in Finnland beim Eisbaden. Alle meine Sinne waren in der Situation, damit beschäftigt herauszufinden, was da gerade mit meinem Körper passiert. Fasziniert von den tausend unbekannten Empfindungen und Gedanken, die dieses Erlebnis bei mir auslöste, war ich unfähig über Vergangenes oder Zukünftiges zu grübeln. Es schien gegenüber dem Hier und Jetzt bedeutungslos. Ich beschreibe diesen Zustand als Glücklichsein, bin mir aber nicht sicher ob es das tatsächlich ist. Schließlich war ich vollauf damit beschäftigt, das Spektrum zwischen Schmerz und Wohlgefühl zu erkunden. Nicht unbedingt ein Spektrum, das jedermann begeistert.
Meine Zeit auf dem Kazbegi war ähnlich. Ein hart erkämpftes und Grenzen auslotendes Erlebnis zwischen Wohlgefühl und Selbstaufgabe. Und während ich da oben auf dem Berg saß, wurde mir schmerzhaft bewusst, wie grausam ich mein Leben in den Städten dieser Welt verschwende. Wie wenig ich von Gesellschaft und anderen Menschen profitiere. Wie sehr mich die Erwartungen, die an mich gestellt werden stressen: Job, Krankenversicherung, Wohnung, Badezimmer (mit Tageslicht), Waschmaschinen, Spülmaschinen, Trockner, Obst, Gemüse, heiraten, Kinderbekommen, Parties feiern, Stress, Arbeiten. All diese überlebenswichtigen Dinge tragen nicht zu meinem Glück bei. Sie machen einander möglich, aber liegen wie eine Bleidecke auf meinem Kopf.
Ich fragte ein paar andere Deutsche Touristen was sie am Deutschen System schätzten und warum sie in diesem System leben wollen im Gegensatz zu dem Georgiens, welches sie hier sehen und ihre Antworten beschrieben vor allem ihre Ängste.
Du brauchst...
- einen Job, damit du genug Geld hast.
- eine Wohnung, damit du einen Rückzugsort hast.
- ein Bad mit Tageslicht, damit du ein gutes Wohngefühl hast.
- eine Familie und Kinder, damit du gesund bleibst, damit du dein Leben teilst, damit du nicht alleine bist.
- die Krankenversicherung, damit sich später einmal jemand um dich kümmert.
- Parties, damit du Freunde hast.
Viele dieser „Gadgets“ sind nur dann nötig, wenn ich 60% meiner Zeit arbeite und 40% der Zeit schlafe oder feiere. Aber, lebe ich dann noch? Und empfinde ich in einer dieser Aktivitäten pures Glück? Wenn nicht, warum stehe ich morgens auf? Warum mache ich den Standard der Welt zu meinem Standard? Warum muss ich in diesem Hamsterrad mitlaufen? Warum muss ich in dieser sogenannten „fortschrittlichen“ Gesellschaft mein Glück suchen? Meine Vorstellung von Glück sieht viel mehr wie das Leben hier aus. Einfach, aber voller Reichtümer. Ohne Waschmaschine, Spülmaschine und Trockner, mit Plumpsklo anstelle von fließend Wasser, selbstgewachsenen Tomaten, Pflaumen, Birnen, Eier von Hühnern aus dem eigen Stall, etc.
Die Menschen in Georgien sind viel ärmer als wir Deutschen, aber ihre Lebensqualität ist mindestens so hoch, wenn nicht höher. Sie haben nicht so viele Maschinen, halten fast alle ihre eigenen Kühe, Schafe oder Hühner, aber sind fest verankert in ihren Gesellschaften. Sie leben in Generationen übergreifenden Gemeinschaften. Der Generationenvertrag ist hier ganz unmittelbar und persönlich, wird ausgehandelt von jeder Familie.
Als Gesellschaft haben wir uns dafür entschieden diesen Prozess zu entpersonalisieren. Schließlich ist es toll, so eine hervorragende Medizinische Betreuung zu haben. Es ist bequemer, schmerzfreier, geordneter, organisierter, aber eben nicht glücklicher. Wir werden betäubt und das Spektrum unseres Erlebens wird eingeschränkt. Wenn ich mir vorstelle einmal in einem Altenheim zu landen, wird mir jetzt schon kotzübel. Das ganz besondere, graue Gefängnis. Hier in Georgien ist es hart, den alt werdenden Menschen zuzusehen. Sie sind überall sichtbar. Es ist hart, aber ehrlich. Schließlich ist Altwerden eines der grausamsten Dinge, die uns Menschen widerfährt. Häufig tragen sie übrigens einen wichtigen Teil zum Leben der jüngeren Generationen bei, indem sie die Familie mit Obst und Eingekochtem versorgen, die Hühner füttern und sich um die Kinder kümmern, wenn die Eltern es nicht können.
Fortschritt und Glück haben nichts miteinander zu tun. Aber sollte Fortschritt nicht eigentlich zum Glück führen? Das ist doch das Versprechen, oder nicht? Machen wir nicht etwas fundamental verkehrt, wenn wir diesen Zusammenhang aus den Augen verlieren?
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