GANGWECHSEL

English text
Warmer Stein und das brausende Meer, Sydney, Australien

Ich sitze auf dem warmen Stein und schaue hinunter in das brausende Meer. Das türkise Nass bricht sich an den schwarzen Steinen und rennt sich auf dem gelben Strand die Wut aus dem Bauch. Die weiße Gischt tanzt auf der Oberfläche und wenn sich das Wasser zurückzieht, hinterlässt sie blaue Blasen. Eine Pflanze oder vielleicht auch eine Qualle, die wenn man drauf tritt, mit einem Plop platzt.

Hinter mir erhebt sich der Busch in die Höhe. Die Pflanzen sind niedrig. Keine von ihnen habe ich jemals zuvor gesehen. Die Vögel sind genauso fremd wie die Pflanzen. Sie haben große Köpfe auf kleinen Körpern, oder sind winzig, wie Rotkelchen nur mit smaragdgrünem Gefieder. Ihre Schreie gellen durch die Luft. Ihre Stimmen ähneln denen der Menschen mehr, als dem, das wir zu Hause Gezwitscher nennen. Hier wird geschrien, gekrächzt, gequakt und wie Affen krakeelt. Ich sitze an der Klippe, den Kopf im Wind und wieder einmal fühle ich mich absolut wohl. Menschenlos und einsam kann ich in Ruhe und voller Wunder um mich schauen, ohne auf die Bedürfnisse eines anderen Menschen Rücksicht nehmen zu müssen.

Die letzten Reisewochen waren sehr anstrengend. Das Neue wurde zum Alltag. Wenn das Neue zum Alltag wird, bedeutet das den sicheren Tod jedes Reisevergnügens. Denn obwohl sich die Umgebung stetig verändert, bleiben die Abläufe dieselben. Langeweile und Überforderung gehen Hand in Hand. Mir war klar, ich müsste nur ankommen, dann würde alles besser werden. Bis ich ankam.

***

Die erste Erleichterung ist wie ein Stein, der von mir abfällt. In immer wieder demselben Bett aufzuwachen ist etwas ganz wunderbares, vor allem, wenn das in einem Raum geschieht, der nur für einen selbst bestimmt ist. Ich bin vom Reisen darauf gepolt, nur meine absoluten Grundbedürfnisse zu decken. Schlaf. Hygiene. Essen. So bald wie diese gedeckt sind, muss ich meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung richten, egal was meinen Kopf beschäftigt. Hier in Sydney sind meine Grundbedürfnisse von ganz alleine gedeckt. Das gibt mir eine Leichtigkeit, die mich für einige Wochen beflügelt.

Drei Tage die Woche verbringe ich mit den Kindern der Familie bei der ich als DemiPair lebe. An diesen Tagen habe ich eine Struktur, Pflichten und Abläufe. An den anderen Tagen drifte ich durch den Tag, ohne mich wirklich strukturieren zu können. Die Zeit mit den Jungs ist in vielerlei Hinsicht toll. Es ist immer ein bisschen unterschiedlich und die starre Struktur gibt Sicherheit. Ich muss klar formulierte Erwartungen erfüllen und das ist etwas sehr einfaches.

Die Tage, die ich auf eigene Faust füllen kann, verbringe ich damit, die Umgebung zu erkunden. Ich mache den Abschnitt vor meiner Haustür des von Manly zum Spit führenden Wanderweges alle zwei Tage. Beim ersten Mal bin ich belustigt, dass ein perfekt instand gehaltener Spazierweg solche Euphorien bei den Australiern hervorruft. Aber bald gehe ich vom Weg ab, laufe den in den Boden getretenen Pfaden nach und entdecke mehr und mehr hübsche und selten besuchte Ecken. Ich sehe mein erstes Wallaby (ein kleines Känguru), eine ganze Reihe von Truthähnen und anderen Vögeln. Eines Nachmittags sehe ich sogar eine elfköpfige Delfinherde im Meer herumspringen. Fasziniert folge ich ihren Bewegungen, versuche sie zu fotografieren, aber meine Ausstattung reicht nicht aus. Die Rückenflossen verschwinden im krausen Wasser.

Ich lade die nötigen Jobportale auf mein Handy und versuche mich zu bewerben. Da ich nur eine halbe Woche arbeiten kann, gestaltet sich das als etwas komplexer. Die Australier wollen ein Zertifikat für alles haben. Ein Zertifikat dafür, dass man eine Kaffeemaschine bedienen kann, ein Zertifikat dafür, dass man Alkohol ausschenken darf (denn hier haftet die Bar, nicht das Individuum welches zuviel trinkt) und ein Zertifikat dafür, dass man in der Nähe von Spielautomaten arbeiten darf. Jedes Zertifikat kostet knapp hundert Dollar und keines bringt dir auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich etwas. Denn auch hier zählt nur die Erfahrung. Sechs Monate Berufserfahrung möchte jeder haben, gleichgültig, wie simpel der Job ist. Learning while doing gibt es nur, wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt.

Meine ersten Wochen sind begleitet von einem negativen Gefühl. Ich werde mit den Australiern nicht grün. Erst nach fünf Wochen kommt mir die Erleuchtung. Ich habe einen Kulturschock, der sich gewaschen hat und mir würde es zuhause in Deutschland ähnlich gehen. Es rasselt in meinem Getriebe ganz ordentlich, aber noch rollen die Reifen aus. Ohne Antrieb komme ich trotzdem erstaunlich weit.

 

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