Ich bin so lange gereist, dass es für mich nichts schöneres gibt, als die Erinnerung an das Ankommen, das Dazugehören. Ich weiß, wie es sich anfühlt, aber nicht, wie ich es rekreieren kann. Ich bin schon seit fünf Monaten in Sydney angekommen und doch dauert es, bis ich meinen Platz hier gefunden habe. Ich habe mich bei meinem Job und meiner WG eingelebt, kenne mich halbwegs in der Stadt aus und trotzdem bin ich nur zu Besuch. Ich bin auf gutem Weg, aber eben noch nicht da. Es dauert lange, das Ankommen (und wahrscheinlich muss ich mich noch viel länger gedulden).
Die zehn Kilometer zu meiner Arbeitsstelle bin ich in Teilen schon häufig und an einem Stück einmal gelaufen. Seitdem kann ich entspannt im Bus sitzen und lesen, ohne Angst zu haben, beim Aufschauen meine Umgebung nicht zu erkennen und in Panik frühzeitig aus dem Bus auszusteigen (eine bereits getestete Gefahr). Seitdem ich den Weg abgelaufen bin muss ich noch nicht mal den Kopf heben. Es reicht die Farbe einer Mauer im äußersten Winkel meines Sichtfeldes und ich weiß, wo ich bin.
Heimatgefühl stellt sich jedoch auch mit der wachsenden Vertrautheit mit meiner Umgebung nicht ein. Ich beschließe alles in meiner Macht stehende zu tun, um mein wanderndes Herz in sein neues Nest zu locken. Ich investiere in das Waschpulver meiner Mutter, bestelle Klamotten meiner bevorzugten Labels um mich meiner neuen Arbeitsumgebung anzupassen (ein mehrere Monate dauernder Prozess) und schreibe mich für einen Improvisationskurs ein. Irgendwo muss ich die richtigen Menschen ja kennen lernen und warum nicht mal etwas Neues ausprobieren? Bisher habe ich vor allem andere Europäer getroffen und nur eine Australierin zu der ich einen Draht aufbauen konnte. Ein Umstand der mich verstört. Was macht es so schwierig an diese Menschen ranzukommen?
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Der erste Improvisationskurs ist Gehirngymnastik, aber gerade so spannend, dass ich mich für ein volles Semester einschreibe, das allerdings erst zwei Monate später beginnt. Ich warte geduldig. Es macht großen Spaß ohne Fallhöhe miteinander kreativ zu werden. Ich habe das Gefühl, hier bin ich richtig. Ich bin nicht besonders gut im Improvisieren, aber das macht seine Anziehungskraft für mich aus. Wenn man es hinbekommt, fliegt man. Anders lässt es sich kaum beschreiben. „Nein, aber“ und „Ja, und“ sind kleine Worte, deren Funktion und Wirkung uns nur langsam klar werden. Hier geht es ums Ausprobieren, und erst das führt zum Verstehen. Eine Einstellung ganz nach meinem Herzen und etwas, das ich in Deutschland so bestimmt nicht angegangen wäre.
So richtig voll ist mein Leben hier in Sydney zu keinem Zeitpunkt. Das ist in Ordnung so. Ich war noch nie jemand, der Menschenscharen aushalten konnte. Immer häufiger steigt in mir jedoch die Frage auf, ob ich es nicht einfach sein lassen sollte. Zurück nach Hause gehen und wieder richtig Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie zu verbringen. Es stellt sich mir die Frage, ob ich hier überhaupt bleiben wollte, wenn es nicht ums Geld und das weiterreisen ginge. Und natürlich ist die ehrlich Antwort auf diese Frage nein. Das Leben, welches ich gerade lebe, genügt keiner meiner idealgesteuerten und romantischen Wesenszüge. Und obwohl diese Gedanken in mir herum wabern, reicht es zu keinem Entschluss. Und ich bleibe. Schlimm ist es hier schließlich selten, nur halt nie richtig TOLL.
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Neulich schaute ich im australischen Fernsehen eine Serie, die von den ersten kolonialen Siedlern erzählte und ich musste sie ausschalten. Ich konnte mich der traurigen Realität der kolonialen Anfänge nicht aussetzen, selbst bei einer reingewaschenen Hollywoodversion ging das nicht. Die Ungerechtigkeit, das triebgesteuerte Verhalten und die vom System sanktionierte Gewalt, ist in meiner Wahrnehmung bis zum heutigen Tag fühlbar. Es lässt mich schaudern. Und dann komme ich zu einer weiteren Erkenntnis: In den Augen der Australier, bin ich kein Besucher, sondern Immigrant. Ich bin eine Fremde, die versucht in ihr System zu gelangen. Das dass nicht mein Plan ist, ändert nichts an der Art und Weise wie man mir begegnet. Es ist eine gesunde Lektion und eine weitere Lebensrealität, die sich mir auf meiner Reise eröffnet. Hier in Australien beginne ich automatisch bei Null. Weder meine soziale Schicht noch meine Familie spielen irgendeine Rolle. Hier gilt nur was ich bin und das ist gerade nicht viel.
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yvokiwi (Wednesday, 05 June 2019 11:43)
Kommentar von Sabine gestern, nachdem ich ihr den Text vorgelesen habe: Bella sollte Schriftstellerin werden. Das kann sie so gut....
Bella (Wednesday, 05 June 2019 12:09)
Hehe, ich arbeite drann. Sag liebe Grüße, wenn du ihr das nächste Mal was vorliest! ;-)
Yvonne Winkler (Wednesday, 05 June 2019 21:04)
dran mit nur einem n
Bella (Thursday, 06 June 2019 04:17)
Na, die Karriere als Deutschlehrerin ist ja schonmal out of reach. ;-P
yvokiwi (Thursday, 06 June 2019 13:51)
Die hättest du nie ernsthaft in Erwägung gezogen, gib es zu ;-)
Bella (Friday, 07 June 2019 08:12)
Zur Ernsthaftigkeit ist es da nie gekommen, da hast du völlig recht. :-P