EIN FUSS VOR DEN ANDEREN

English text
Der einsame Wanderer, Mardi Himal Trek, Nepal

Ich habe schon so viele alte Texte und Geschichten gelesen, jedoch weiß ich erst seitdem ich von Pokhara nach Phedi, unangeschnallt und auf der Rückbank, mit einem widerwilligen Taxifahrer gefahren bin, wie es sich anfühlt zwanzig Kilometer in einer Kutsche herumgeworfen zu werden. Es war beeindruckend. Als ich aussteige brauche ich länger als sonst, um mich zu orientieren, da ich auf einer, auf meiner Karte noch nicht vorhandenen Straße abgesetzt wurde. Da sie sich parallel zu der älteren, erdbebengeschädigten Straße befindet, ist es nicht weiter schlimm. Ich lasse mich von zwei einheimischen Ladies über das Wasser und den Hügel navigieren und finde auf dem nächsten Level nicht nur die Treppen, die mich in das gewünschte Dorf bringen, sondern auch ein paar kleine Verkaufsstände mit Wasser und Chips. Da ich gut versorgt bin, weise ich die Aufforderungen der Damen ab und setzte meinen Fuß auf die erste Treppenstufe. Mit mir ist eine zwanzigköpfige Reisegruppe angekommen samt Guide und mehreren Portern. Da es sicher ist, dass sie den selben Weg emporsteigen werden, ist es mein fester Wunsch, ihnen ein gutes Stück voraus zu sein. Ich stürze mich ohne zu zögern in das Unvermeidliche.

Treppen und schöne Blätter, Mardi Himal Trek, Nepal

Mit nur der Hälfte meines normalen Gepäcks auf dem Rücken hechte ich die Treppen hoch. Was am Anfang noch fesch und forsch wirkt, wandelt sich schnell in ein rotgesichtiges und schnaufendes Wesen. Das wenige Gepäck ist nur ein Trostpflaster, verglichen mit den Schwierigkeiten, die mir die Höhenmeter hier schon verursachen. In kürzester Zeit ist meine erste Literflasche Wasser leer und meine Knie zittern erschöpft in ihren Gelenken. Bald mache ich die ersten Pausen. Zunächst kurze, bei jeder Wendung eine, bald jedoch alle fünf Stufen. Die Pausen werden länger, bis ich die ersten der anderen Gruppe hinter mir hören kann. Sie laufen mit zwei Kilogramm schweren Rucksäcken den Berg hinauf. Natürlich sind es Deutsche und natürlich kommentieren sie mein Tempo. Ich lächle milde und stelle mich dumm. Wir sind eindeutig nicht aus denselben Gründen hier. Ich setzte mich an den Treppenrand und warte, bis der Sturm vorüber zieht. Einer nach dem Anderen laufen sie an mir vorbei. Die Rentner sind alle voll Verständnis mit mir und lächeln freundlich. Nur die jungen Menschen meinen sich darüber den Kopf zerbrechen zu müssen, warum ich so „schlecht trainiert“ bin, obwohl „sie doch ganz normal ausschaut“. Wuzzzaaaaaaaa. (Eine Beruhigungstechnik aus dem Hollywoodfilm Bad Boys. Die beruhigende Wirkung wird verstärkt wenn simultan das Ohrläppchen massiert wird.)

Schöner Farn, Mardi Himal Trek, Nepal

Als der deutsche „Sturm“ an mir vorbeigezogen ist, setzte ich wieder einen Fuß vor den anderen. Andere Wanderer kommen mir entgegen, warnen mich davor, nicht zu schnell zu sein, wegen der Meute Deutscher und ich versichere schwach, dass das nicht zu befürchten ist. Man erzählt mir von den schönen Blicken und den tollen Bergen die mich erwarten und spricht mir Mut zu. Tief in mir habe ich verstanden, dass ich einen Berg erklimme . Das klingt so banal, aber mir war nicht so ganz klar, dass ich die meiste Zeit bergauf gehen würde. Die Einheimischen sind freundlich und lächeln mir mitleidig entgegen. Mit regelmäßigen Pausen mache ich einfach weiter. Ich werde irgendwann schon irgendwo ankommen.

Treppenstufen, Mardi Himal Trek, Nepal

Nach über 3.000 Treppenstufen erreiche ich Damphus, einen kleinen Ort auf 1.500 Metern Höhe. Da es ein unteres und ein oberes Damphus gibt, laufe ich bis zur Mitte und bleibe dort. Ich schlafe in einer kargen und kalten Kammer, kriege Abendbrot und Frühstück aber zahle deutlich mehr als in den kommenden Nächten. Wie immer lerne ich ganz neu, wo das Geld hier fließt. Zu Beginn weiß ich noch nicht, dass die meisten der Hüttenbesitzer Millionäre sind. Hier fließt das meiste Geld aus dem Ausland hin. Jeden Tag ein bisschen mehr.

Berghütte, Mardi Himal Trek, Nepal
Epischer Sonnenaufgang, Mardi Himal Trek, Nepal

Am nächsten Morgen weckt mich die Kälte und so mache ich mich rasch auf den Weg. Es geht weiter bergauf. Bald höre ich die Deutschen und mein Magen fängt an zu meckern. Aber ich habe Glück. Die große Gruppe will nicht auf 4.500 Meter hoch, sondern bleibt, wo sie hingehört. Unsere Wege trennen sich bevor ich sie überholen muss und bald beginnt der Wald. Ein unregelmäßig gepflasterter Weg führt immer tiefer in das grüne Paradies. Bald wird der Weg schmaler, bis ich mich alleine im Schatten von tausend stark bewachsenen Bäumen befinde. Zwei Tage lang schweife ich durch das paradiesische, farnige Unterholz. Und dann komme ich an, auf dem Kamm des immer weiter in die Höhe führenden Berges. Hier fällt er dreihundert Meter in die Tiefe, bis er sich in Rutschform die restlichen Tausend Meter ins Tal wellt. Hier war mal mehr Berg, aber der ist wohl hinunter gerutscht. Eine ständige Erinnerung daran, dass die Natur nicht milde und sanft ist, sondern abrupt und grausam. Wenn etwas passiert, ist der Tod nahe.

Als ich aus dem Wald heraustrete öffnet sich der Blick auf die umgebenden Berge, auf der einen Seite geht die Sonne unter, auf der anderen tobt ein Hagelsturm. Es ist ein majestätischer Moment. Obwohl es noch relativ früh ist, beschließe ich hier an der neuesten Hütte zu bleiben. Die sorgfältig geschnitzten Balken und das frech grüne Wellblechdach sind mir sympathisch. Mir bietet sich ein 360 Grad Blick über die in den vergangenen Tagen zurückgelegte Route. Hier ist es so schön, dass mir schwant, es kann kaum schöner werden. Es bleibt mir ein Tagesmarsch bis ich ganz oben bin. Mich treibt nichts zur Eile. Also lasse ich mir Zeit. Ich gehe früh schlafen und stehe spät auf, allerdings rechtzeitig zum Sonnenaufgang. Als ich nach dem Frühstück endlich weiterziehe, verlässt mich schon nach zwei Stunden der Wille. Ich habe einen dezent brummenden Kopfschmerz, der höchst wahrscheinlich auf die Höhenmeter zurück zu führen ist und könnte einen Ruhetag mit einem Buch im Bett gut gebrauchen. Aber da ich kein Buch mitgebracht habe, sondern nur Hörbücher, mein Abspielgerät jedoch keine Batterie mehr hat, steht mir diese Alternative nicht zur Verfügung. Als ich um 10 Uhr im Highcamp ankomme, beschließe ich erstmal eine Pause zu machen, zu essen und in Erfahrung zu bringen, was mich da oben erwarten wird. Als ich den Gemeinschaftsraum betrete, sitzen dort bereits einige Wanderer und wir beginnen bald ein entspanntes Gespräch. Sie werden heute noch hinauf kraxeln, aber sagen, dass es ein acht Stunden Tag sei, hinauf und hinunter zu kommen. Vier Stunden könnte ich mir vorstellen, aber acht? Ich spüre die Erschöpfung in meinen Knochen und merke wie sich der Unmut in mir regt. Ganz oder gar nicht, heißt es hier. Da ich kein Zelt dabei habe, muss ich hoch und wieder runter an einem Tag, denn dort oben gibt es keine Hütten. Zumindest noch nicht. Ich entscheide mich zu bleiben wo ich bin. Als eine zweiköpfige Gruppe von Amerikanerinnen am Nachmittag in den Gemeinschaftsraum stolpert, frage ich sofort wie es war, aber die Mädels sind zu hungrig und zu erschöpft zum reden. Ihre Antworten sind unzusammenhängend und stockend und nur eins wird deutlich, es war verdammt anstrengend und ziemlich gefährlich.

Hüttenzier, Mardi Himal Trek, Nepal

Ich verbringe den Tag in der Hütte, bin immer ein wenig kalt, da die Sonne nur bedingt wärmt und das Feuer erst am Abend angezündet wird. Die Berghütten sind kein Ort zum verweilen. Hier oben muss man sich ständig bewegen, was meine Erholungsstrategie aus den Angeln hebt. Als sich mein Kopfschmerz gelegt hat, geht die Sonne bereits unter. Das Spektakel auf 3.600 Metern ist nicht halb so schön wie das auf 3.200 Metern. Ich verbringe den Abend mit den anderen Bergwanderern ums Feuer herum und wir beschließen morgens um 4.30 auf die letzte Etappe Uhr zu starten.

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