Um zu Reisen habe ich die Menschen hinter mir gelassen, die meinen Orbit bevölkern und lebenswert machen. Ich habe Freunde mit denen ich intellektuelle Diskurse führen kann, über das geschriebene und das gefilmte Wort auf einer Wellenlänge diskutiere, koche, esse, lache, musiziere, Wein und Whiskey trinke, über banale Dinge lache und über das Weltgeschehen grüble. Ich wusste ich würde mein Leben damit verbringen zu essen, zu trinken, zu reden, ohne jemals etwas Eigenständiges zu schaffen, wenn ich nicht losziehe. In anderen Worten: ich war gewillt meinen Freundeskreis zu vernachlässigen, um an den Punkt zu gelangen an dem ich selber etwas zu sagen habe. Ich vermisse beim Reisen so viele Dinge, dass ich manchmal den Überblick darüber verliere, was ich jetzt gerade ganz genau brauche. In Delhi werde ich durch die Freunde J.s (für mich überraschend) darauf gestoßen, dass ich Gespräche über Kunst vermisse. Ich treffe P., einen Fotografen, und S., eine Journalistin. Beide haben eine Menge zu sagen über Texte und Bilder.
Mit P. ziehe ich durch die Straßen Old Delhis, er zeigt mir seinen präferierten gebrauchten Büchermarkt und das beste butter chicken meines Lebens. Er erzählt mir von indischen Fotografen und eröffnet mir seine Perspektive auf das Bild. Wie so häufig sehen wir viele Dinge ähnlich. Wie so häufig beeindrucken mich unsere Gemeinsamkeiten mehr als unsere Unterschiede. Ich kehre ganz euphorisch nach unseren Exkursionen zurück in mein temporäres Heim. Erst im Nachhinein wird mir klar wieso. Hier kann ich endlich wieder ernsthaft über Themen sprechen die mich beschäftigen, über die ich in den letzten Monaten so viel gelernt habe. Mit P. habe ich einen ebenbürtigen Gesprächspartner über Bilder und das Essen.
Mit S. treffe ich mich in Cafés und Restaurants. Ich genieße es Zeit mit einer Frau zu verbringen die selbstbewusst, reflektiert, emanzipiert ist und einen Standpunkt hat. In den letzten Monaten habe ich solche Frauen vor allem in meinen Podcasts gehört, aber auf der Straße von Iran bis Indien sind sie schwer zu finden. Geben tut es sie überall, aber ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich meinen Kompass auf sie einstelle. So viele Gedanken und Erlebnisse schwirren in meinem Kopf herum und alle probiere ich an ihr aus. Sie hört zu und erzählt selbst. Sie ist eine der faszinierendsten Frauen die ich auf meiner Reise treffe. Sie schreibt spannende Artikel über Indien und ich ertappe mich dabei, wie ich ihre Texte in meinem Kopf mit ihrer Stimme lese. Dabei spielt ihr dezenter indischer Akzent eine zentrale Rolle. Zu oft ist mir der indische Akzent als komödiantisches Mittel in Filmen begegnet. Er wirkt im europäischen Kontext häufig ein wenig dick aufgetragen. Hier begegne ich ihm in völlig neuer Umgebung, gesprochen von ernsthaften und gebildeten Menschen. Es sind Menschen, die sich wenig von mir unterscheiden. Wir vertreten ähnliche Werte, haben ähnliche Träume, ähnliche Lebensläufe und unterschiedliche Kulturen. Aber bei all den Ähnlichkeiten ist es irrelevant wie sich unsere Kulturen unterscheiden. Hier lerne ich, dass Bildung und Klasse viel größere Probleme mit sich bringen als Kultur. Wieder einmal begegnet mir ein Beispiel für etwas, was ich irgendwo gelesen habe. Ein weiteres Puzzleteil fällt an seinen Platz.
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