IM STILLSTAND

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(Drei Monate später)

Wie Yoda sitze ich auf der grünen Ledercouch. Stundenlang. Nichts bewegt sich. Der Kater kuschelt sich schnurrend gegen meinen Oberschenkel. Ich habe ihn liebgewonnen. Mir geht es gut im Stillstand.

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ABNEIGUNG UND GEMÜTLICHKEIT

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Reflectionen in Glas, Sydney, Australien

Einer der Gründe, warum ich die Frequenz der Posts drastisch gedrosselt habe war, dass ich vor allem Negatives zu berichten habe. Australien ist nicht mein Ding. Mein Widerwille fühlt sich absolut an. Als würde er sich nie ändern. Er ist subjektiv gefärbt von meinen ganz persönlichen Werten, die ich hier nirgendwo reflektiert sehe und meiner Abneigung gegen den australischen Humor.

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EIN NEUES LEBEN

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Regenbogen überm Meer, Wollongong, Australia

Ich bin so lange gereist, dass es für mich nichts schöneres gibt, als die Erinnerung an das Ankommen, das Dazugehören. Ich weiß, wie es sich anfühlt, aber nicht, wie ich es rekreieren kann. Ich bin schon seit fünf Monaten in Sydney angekommen und doch dauert es, bis ich meinen Platz hier gefunden habe. Ich habe mich bei meinem Job und meiner WG eingelebt, kenne mich halbwegs in der Stadt aus und trotzdem bin ich nur zu Besuch. Ich bin auf gutem Weg, aber eben noch nicht da. Es dauert lange, das Ankommen (und wahrscheinlich muss ich mich noch viel länger gedulden).

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MEIN AUSTRALISCHES FAMILIENLEBEN

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Der nördliche und südliche Kopf der Bucht von Sydney, Australien

Mein australisches Familienleben ist dem von zu Hause ziemlich ähnlich. Die Familie bei der ich lebe wohnt in einem guten Viertel, fünf Minuten vom Meer und zehn Minuten von den Superreichen entfernt. Arm ist hier niemand. Man legt Wert auf gutes Essen und gute Manieren und ich komme einige Male in die Situation, dass ich bestürzt erkennen muss, dass ich einerseits die Höflichkeitsparameter nicht verstehe und andererseits einige meiner Manieren auf dem zweijährigen Weg durch Asien verlegt habe.

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GANGWECHSEL

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Warmer Stein und das brausende Meer, Sydney, Australien

Ich sitze auf dem warmen Stein und schaue hinunter in das brausende Meer. Das türkise Nass bricht sich an den schwarzen Steinen und rennt sich auf dem gelben Strand die Wut aus dem Bauch. Die weiße Gischt tanzt auf der Oberfläche und wenn sich das Wasser zurückzieht, hinterlässt sie blaue Blasen. Eine Pflanze oder vielleicht auch eine Qualle, die wenn man drauf tritt, mit einem Plop platzt.

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GEFAHR

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Die Ruinen von Parsagard. Iran

Mein guter Freund John hat unter meinem Post „A short glance over my shoulder“ eine Frage gestellt, die eine ellenlange Antwort nach sich zieht: „Mich würde interessieren, warum du den Iran zum gefährlichsten Land gewählt hast und nicht Russland, Indien, Nepal oder China?“ Und wie das bei großen Fragen ist, beginnen wir am Anfang...

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BEGEGNUNGEN MEINER REISE

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Meine Mädels aus Pokhara (Nepal) habe ich im Text gar nicht erwähnt, aber die gehören auch dazu. ;-)

Leo hat mir unter meinem Post „Ein Rückblick in Kurzform“ eine schöne Frage gestellt: „Was war eine Begegnung, an die du immer noch sehr gerne zurückdenkst?“ Die Antwort ist ellenlang. Los geht’s...

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WAS VON DER REISE BLEIBT

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Ein Fundstück vom Anfang meiner Reise in Lettland, Europa

IN 2 JAHREN HABE ICH:

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EIN RÜCKBLICK IN KURZFORM

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Der Blick zurück, Sydney, Australia

Bevor ich eintauchen kann in mein Hier und Jetzt und von Sydney erzähle, brauche ich Zeit. Gut Ding will Weile haben. Es gibt eine Litanei an Dingen, die ich loswerden möchte. Zurückblickend.

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DIE GROSSE REISEPAUSE

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Das Meer zu meinen Füßen, Sydney, Australien

Meine große Pause gehe ich langsam an. Veränderungen brauchen Zeit und ich habe gelernt, dass es dann schief geht, wenn ich mir nicht genug davon gebe. Also nehme ich das Tempo und den Druck raus. Ich beginne meine Arbeit als DemiPair, füge mich schnell ein in den neuen Alltag und tue erstmal nichts weiter.

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DIE LESENDE – GEDANKEN AUS KUALA LUMPUR

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Kuala Lumpur ist groß und unübersichtlich. Von der Bushaltestelle bis zu meinem Hostel steige ich in ein Taxi, welches ich mir mit einem Neuseeländer und zwei Briten, die in meinem Bus sitzen, teile. Das ist eine der Sachen, die ich inzwischen gelernt habe. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich die Touristen in ähnliche Ecken bewegen. Es lohnt sich immer, mal freundlich nachzufragen und meistens ist der Andere oder die Anderen sogar dankbar dafür, dass man sich traut. Was mir vor zwei Jahren noch eine Heidenangst eingejagt hat, ist heute das Leichteste von der Welt.

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ZURÜCK IN BANGKOK

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Der Königliche Palast, versteckt hinter einer Mauer und einer Paywall die es in sich hat, Bangkok, Thailand

Der Rückflug von Rom nach Bangkok läuft wie am Schnürchen. Nur habe ich eine dicke Erkältung aus Europa mitgebracht und ich bin mir sicher, als wir nach zehn Stunden aus dem (zweiten) Flugzeug aussteigen, habe ich ihn an alle anderen weiter gegeben. Ich weiß nicht, wie ich es vom Flughafen bis zu meinem Hostel geschafft habe, aber ich bin vier mal eingeschlafen in den zwei verschiedenen Metros und dem Bus zu meinem Hostel. Für zwei Tage bleibe ich in meinem Mietbett liegen und schaffe es nicht einmal, zum vorzüglichen Frühstück nach unten zu gehen. Aber, obwohl ich mich nicht bewegen kann, kommt mir der Gedanke nach Hause zu wollen, nicht. Ich bin hier. Augen zu und durch. Auch wenn es sich anfühlt, als würde ich sterben.

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ROM UND FAMILIENÜBERDOSIS

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Fischer auf dem Bolsenasee, Bolsena, Italien

Das erste was mir auffällt ist die frische Morgenluft die mir beim Verlassen des Flugzeuges um die Nase weht. Fasst könnte ich mein Fließ auspacken, aber nur fast. Das Gepäck holen dauert lange, aber alles ist noch da und unbeschädigt. Ich kaufe meinen ersten Cappuccino und mache mich auf den Weg zum Zug. Vorbei fahre ich an den vertraut abgeranzten Wohnblöcken, die die Mehrzahl der römischen Behausungen darstellen. An den letzten kühlen Tagen habe ich das Glück, Rom von seiner besten Seite zu sehen. Wir sind alte Freunde.

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DER NORDEN (ODER CHIANG KHONG, CHIANG RAI & CHIANG MAI)

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Der lokale Bus, von Chiang Khong nach Chiang Rai, Thailand

Dies ist das erste Mal, dass ich in einem Text über drei Städte schreibe. Ich bin mir sicher, es gibt Menschen, die besondere Dinge in diesen Orten erlebt haben. Nur ich eben nicht. Ich fand sie furchtbar langweilig. Wie überall in Süd-Ostasien gibt es auch in jedem dieser Städte einen Nachtmarkt und ein paar Tempel. In Chiang Rai steht sogar der vielleicht schönste Tempel Thailands, und auch der konnte mich nicht aus meiner Lethargie katapultieren. Das schlimmste jedoch waren die weißen Touristen. Hier gibt es überall Achtzehnjährige die entweder Oberkörperfrei oder in Spagetti-Top und Minirock herumspringen, sowie weiße Männer jenseits der Midlifecrisis die nach jungen asiatischen Ärschen greifen. Sie ziehen Masseusen in ihren Schoß, die dann entrüstet und schreiend aufspringen, um dann einen ordentlichen Klaps auf den Po zu fangen. Als hätten sie noch nicht deutlich genug gemacht, dass sie sich dass verbitten. Meistens verschwinden dann die jugendlichen Kolleginnen in den Hinterraum und ein älteres Modell übernimmt. Solche Beobachtungen erinnern mich an meine bitteren Erfahrungen im Iran und übel wird mir bei den Diskussionen, die ich geführt habe mit Männern, die meinten so etwas gäbe es „bei uns“ nicht. Ich schäme mich in Grund und Boden für meine Landsleute. Sie zeigen hier ihr furchtbarstes Gesicht, weil die Gesetze so offensichtlich nicht für sie gelten. Weil sie glauben, wenn es nicht verboten ist, dann ist es erlaubt. Weil sie mit Scheuklappen herumrennen und ihr Bier trinken, ohne zu registrieren wie die Einheimischen leben.

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WENN TRÄUME VON REALITÄTEN EINGEHOLT WERDEN

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Flugzeug über den Spitzen des Himalayas, Nepal

Ich habe nur eine Regel und die lautet, ohne Flugzeug um die Welt zu reisen. Ich möchte spüren wie Kulturen ineinander greifen. Ich will sehen wie christliche Kulturkreise zu orthodoxen, muslimischen, hinduistischen, buddhistischen und dann wieder zu muslimischen oder christlichen werden. Ich will verstehen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. So habe ich das ganz am Anfang formuliert. Das war vor zwei Jahren. Einmal bin ich bereits in ein Flugzeug gestiegen, um nach vorne zu kommen. Damals bin ich an meine Grenzen gekommen. Für mich galt es zu entscheiden, nach vorne oder zurück. Andere Menschen, die so reisen wie ich (ohne Flugzeug), die genau am selben Punkt zu scheitern drohen (bei der Überquerung Pakistans), reisen über Turkmenistan weiter. An dieser Stelle wäre es möglich gewesen ohne Flugzeug weiter zu machen. Prinzipiell möglich heißt in diesem Fall, dass es für mich eben nicht möglich war. Ich habe diesen Flug am Anfang bitterlich bereut. Heute bin ich froh, dass ich nicht durch Pakistan gereist bin. Nicht weil es mir unmöglich ist oder weil ich Angst habe, sondern weil ich gelernt habe, dass es klüger ist, einige muslimische Länder in Begleitung eines Mannes zu besuchen. Eines Tages werde ich wohl auch dieses Land mit viel Zeit erkunden.

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NORMALITÄT

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Im Textilmuseum von Luang Prabang, Laos

Nach knapp 21 Monaten des Reisens hat sie sich eingestellt: die Normalität. Nachdem ich durch jede Menge schwieriges Terrain gereist bin, empfinde ich Südostasien als langweilig. Egal wo ich hinreise, mit Leichtigkeit schaffe ich es, meine Grundbedürfnisse zu stillen und Tempel und Paläste sind immer wie oder ein bisschen anders als. In letzter Zeit habe ich gegrübelt, woran das liegen mag. Bin ich verwöhnt? Oder ist Südostasien einfach nicht so spektakulär?

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TSCHÜSSIKUSS CHINA

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Greetings to London! Jinghong, China

Nach drei Wochen des Grübelns und des Ausharrens geht es endlich weiter. Ich muss mit C. zur Bushaltestelle laufen, um das Ticket zu kaufen, da die Dame hinter dem Schalter Lateinische Buchstaben nicht lesen kann. Nicht einmal meine Übersetzungsapp hilft. Ich kann ihr Informationen zu kommenlassen, aber sie mir nicht. Also gehe ich mit C. zurück. Ich bekomme ein Ticket, das mich zwar nicht bis nach Luang Prabang bringt, aber zumindest über die Grenze nach Laos, zur nächstgrößeren Stadt.

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GRÜBELEIEN

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Innenleben, Jinghong, China

Ich sitze im Dunkeln in einem der Schlafsäle meiner Gastgeber. Von der Straße höre ich die Karaoke Bar um die Ecke und den dezenten Lärm des Nachtmarktes vor der Tür. Für jeden Reisenden sind diese Geräusche Verlockungen. Für mich hat sich das gelegt. Ich bin schon seit Monaten nicht mehr auf der Suche nach Abenteuern. Ich bin nervös, obwohl es dazu keinen Grund gibt, außer dass das Internet zu langsam ist, um Filme zu gucken und meine Dropbox vom chinesischen Staat blockiert wird. Ich kann weder meine Fotos sichern, noch meine englischen Texte korrigieren. Es ist dieser ungesicherte Status, der mich nervös macht. Was, wenn ausgerechnet jetzt mein Rechner den Geist aufgibt? Dann sind die Bilder dahin. Einerseits will ich raus aus China, um endlich näher an Australien zu rücken, andererseits gefällt es mir hier ganz gut. Ich habe unendlich viel zu lernen und könnte mich ewig durch dieses faszinierende Land essen. Chinesisch werde ich allerdings nie lernen, was einen verlängerten Aufenthalt nutzlos erscheinen lässt.

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LHASA ODER DAS LEBEN IN TIBET

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Lhasa ist eine Stadt gefangen zwischen Fortschritt und Tradition, Tibet, China

Lhasa ist ein besonderer Ort. Hier laufen die Bettler mit Stofftaschen voller Geld umher (auch wenn diese nur mit Pfennigscheinen gefüllt sind) und die Einheimischen tragen indische Cowboyhüte. Das Sonnenlicht fällt gleißend in die ungeschützte Iris eines jeden Dummkopfes der Sonnenbrille oder Hut zu Hause lässt (oder wie ich auf der Rückbank eines Taxis vergisst). So gut wie jeder scheint ein Pilger zu sein. Drei Pilgerrouten führen durch die Stadt: die ehemalige Stadtgrenze (Lingkhor) entlang, um den Jokhang-Tempel und Teile der Altstadt (Barkhor) herum, im Innenhof des Jokhang-Tempels (Nangkhor) und um den Winterpalast. Das monotone Gemurmel der buddhistischen Mantras, das rhythmische Spinnen der Gebetsmühle und das schabende Geräusche welches ihre Handschützer machen, wenn die metallenen Oberflächen über das Pflaster kratzen, während ihre Körper sich lang strecken und der Kopf sich demütig zur Erde senkt, lässt mich sprühende Funken erwarten. Aber die kommen nicht. Es ist eine routinierte Bewegung. Die Menschen gleiten manchmal mühelos, andere vom Alter und der Krankheit verlangsamt aus der 'gen Himmel gestreckten Pose bis auf den Boden. Manchmal sind es Grüppchen, die sich treffen, um sich nebeneinander zu postieren, dabei Sweet-tea oder Butter-tea trinken, andere Male sind es einsame Büßer.

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KATHMANDU, NAGARKOT UND DER ANFANG VOM ENDE

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Tempeldach, Thamel, Kathmandu, Nepal

Wieder einmal steige ich in den Bus zurück nach Kathmandu und falle gründlich durchgeschüttelt nach 8 Stunden und 18.837 Schlaglöchern in Thamel wieder heraus. Zurück reise ich zusammen mit einer neuen Bekanntschaft aus Delhi, wir haben unterschiedliche Hostels gebucht, da die Saison nunmehr begonnen hat und die Touristenunterkünfte überlaufen sind. Wir telefonieren uns zusammen und treffen uns zu Lunch und Dinner. Ich lerne viel von ihr. Viel über brahmanische Frauen und die Erwartungen an sie in der Oberschicht Delhis. Oft verursachen ihre Beschreibungen Kopfschütteln bei mir. Einmal pro Woche muss sie zum Friseur, zur Maniküre, zur Pediküre. Es geht mehr um die Arbeit, die sie in ihre Schönheit investieren, als darum natürliche Attribute hervorzuheben. Eine wunderschöne Frau kann hier als nicht schön gelten, weil sie nicht häufig genug zum Salon geht. Wie im Iran fällt der kleinste Hauch von Körperbehaarung negativ auf. Aber auch naturbelassene Nägel (wie ich sie Zeit meines Lebens trage) werden dahingehend interpretiert, dass man kein Geld hat oder einfach eine Frau ohne Stil ist. Als ich versuche zu formulieren, wie unser Schönheitsideal aussieht, wird mir klar, wir sind nicht logischer. Das Konzept von natürlicher Schönheit ist so unfair wie sinnfrei. Wer bewertet schon, ob jemand natürlich schön ist oder nicht? Und wenn man sich lange genug mit unserer Gesellschaft auseinandersetzt, ist die Schönheit so ganz natürlich auch nicht. Ein Fass ohne Boden.

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POKHARA AD FINITUM

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Der Himmel über Pokhara, Nepal

Ich entscheide mich dafür, einen weiteren Treck zu machen, den Anapurna Circuit. Ich besorge mir die Permits, kaufe Eispicken, Wanderstöcke und Proviant. Als der Tag kommt an dem ich loslaufen soll, bleibe ich im Hostel. Dieser Treck würde mich reizen, jedoch ahne ich nicht, was mich eigentlich zurückhält. Ich treffe eine junge Amerikanerin beim Frühstück und erzähle ihr von meinem Zögern zurück auf den Treck zu gehen. Sie ist bis zum Anapurna Base Camp gelaufen und versteht sofort. Sie erzählt mir von den Nahtoderfahrungen an Berghängen und von den zwei Touristen, die auf dem Weg nach oben gestorben waren. Der eine, weil er seine Symptome ignoriert hat, der andere, weil der Helikopter wegen schlechten Wetters nicht rechtzeitig einfliegen konnte.

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I KNOW WHERE I'M GOING (1945)

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Selbstportrait beim Problemlösen, Nagarkot, Nepal

Eines Morgens in meiner zweiten Woche in Nagarkot wache ich auf und finde eine E-Mail aus China. Meine geplante Einreise nach Tibet ist unmöglich, da das Tibetische Neujahr auf meine Reisedaten fällt. Entweder ich fliege noch diese Woche (Anfang Februar) nach Tibet oder ich muss bis April warten, um über die Grenze gelassen zu werden.

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ERKENNTNISSE EINES HOMESTAYS

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Lehmhütte, Wellblechdach und verspiegelte Fenster, Sisters Homestay, Nagarkot, Nepal

Wilde Geschichten gibt es aus Nepal zuhauf. Manchmal gewinne ich den Eindruck, es wäre ein regelfreier Raum, dieses Land im Chaos. Und doch gibt es Regeln. Das Chaos ist nicht ganz so grenzenlos wie man das beim ersten Blick glaubt. Aber damit eine Brahmanin (oberste Schicht des Kastensystems) ihre Pforten für Ausländer öffnet, ihr Essen und ihr Haus teilt, muss einiges geschehen. Sie muss ihre Religiosität ablegen/neu interpretieren, sich von ihrer Familie distanzieren und Herrin ihres eigenen Schicksals sein. P. ist diesen Weg gegangen. Lebt getrennt von ihrem Exmann, unterstützt ihre Kinder, die beide studieren (ihre Tochter ist mit einem Stipendium in Amerika) und beherbergt Ausländer. Sie ist damit die Verbindung ihres Dorfes zur westlichen Welt. Sie betreibt kulturellen Austausch, erklärt, vermittelt, lacht und kommuniziert. Sie hat S. (stammt aus einem Bergdorf und ist demnach nicht Teil des Kastensystems) die Möglichkeit gegeben, aus einem unerträglichen Arbeitsverhältnis zu entkommen. P. hat S. eine neue Lebensrealität gegeben, die ihr erlaubt, ihre alte Mutter und ihren herzkranken Bruder zu unterstützen. P. betreibt Entwicklungshilfe in kleinem Stil. Ganz lokal und genau da, wo es sinnvoll ist. Sie lebt, was ich zu Hause schon so oft gehört habe: think globally, act locally.

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SAURAHA - ERSTE SCHRITTE

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Sauraha, von der anderen Seite des Ufers, Sauraha, Nepal

Meine Unterkunft ist eine Reihe von Bambushütten, die auf Stelzen bis weit in die Bananenbäume hinauf reichen. Ich krabble in die Kleinste mit dem Namen „Stillness“. Sie steht auf Stelzen die sie auf einen Meter über den Boden erheben. Es ist ein idyllisches kleines Paradies, die Hütte gerade groß genug für ein Bett und einen schmalen Gang für meinen Rucksack. Die Geräusche des Dschungels sind hier lauter als die des Dorfes und trotzdem sind wir umringt von Häusern. Die Bauwut der Nepalesen fällt mir hier zum ersten Mal auf. Neben uns erhebt sich ein riesiges Betonmonster aus dem Boden. Direkt dahinter liegt der Rapti, der im Nebel versinkende Fluss. Er ist das Zuhause von Krokodilen, Nashörnern und zahllosen Vögeln. Hier sehe ich zum ersten mal einen Eisvogel der in der Luft fliegt, ohne sich vorwärts zu bewegen. Meine Kamera ist in diesem Moment zu langsam für die Realität.

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DIE RICHTIGEN

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Old Delhi, Indien

Um zu Reisen habe ich die Menschen hinter mir gelassen, die meinen Orbit bevölkern und lebenswert machen. Ich habe Freunde mit denen ich intellektuelle Diskurse führen kann, über das geschriebene und das gefilmte Wort auf einer Wellenlänge diskutiere, koche, esse, lache, musiziere, Wein und Whiskey trinke, über banale Dinge lache und über das Weltgeschehen grüble. Ich wusste ich würde mein Leben damit verbringen zu essen, zu trinken, zu reden, ohne jemals etwas Eigenständiges zu schaffen, wenn ich nicht losziehe. In anderen Worten: ich war gewillt meinen Freundeskreis zu vernachlässigen, um an den Punkt zu gelangen an dem ich selber etwas zu sagen habe. Ich vermisse beim Reisen so viele Dinge, dass ich manchmal den Überblick darüber verliere, was ich jetzt gerade ganz genau brauche. In Delhi werde ich durch die Freunde J.s (für mich überraschend) darauf gestoßen, dass ich Gespräche über Kunst vermisse. Ich treffe P., einen Fotografen, und S., eine Journalistin. Beide haben eine Menge zu sagen über Texte und Bilder.

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NEUJAHR IN INDIEN

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Ich auf meinem Bett in Delhi, Indien

Nachdem mir Weihnachten so gut gefallen hat, fahre ich an Sylvester einen ähnlichen Plan. Ich nehme mir das Bier im Kühlschrank vor, kuschle mich in einen von Kerzen umringten Stuhl und schreibe. Ich treffe einige harte Entscheidungen, die meine Weiterreise betreffen und räume in meinem Kopf auf. Außerdem entscheide ich, eine Woche länger in Indien zu bleiben. Mir geht es zu gut hier und mein Abenteuergeist hat sich noch nicht geregt. Beides deutliche Zeichen dafür, dass ich noch mehr Ruhe brauche. Und da Ruhe das wertvollste und seltenste Gut auf meiner Reise geworden ist, zögere ich, sie mir wieder entgleiten zu lassen. Da meine Gastgeber die freundlichsten Wesen sind, bieten sie mir direkt an, hier zu überwintern. Kurz bleibt dieser Gedanke in meinem Kopf hängen, aber da mein Budget unaufhaltbar sinkt, treibt mich meine Ratlosigkeit zu einer Flucht nach vorne. Ich werde weiterreisen nach Nepal. Danach nach Tibet, für eine kurze Woche und dann mit einer drei Tage langen Zugfahrt durch China nach Laos. Dann wäre ich wenigstens schon fast in Australien wenn mein Budget endgültig verrinnt. Mit etwas Geschick und Freiwilligenarbeit würde ich es vielleicht doch noch knapp schaffen. Ich müsste knausern und auf jeden Pfennig schauen (was mir sehr schwer fällt), aber das wäre es wert.

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EIN SPAZIERGANG - LODHI GARDEN

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Ein Fahrrad, alltäglich und überall in der Welt zu finden, Lodhi garden, Indien

Mein erster Ausflug in Delhi führt mich in den Lodhi Garden. Online kann man eine Menge netter Dinge über ihn lesen, J. hat ihn irgendwann mal erwähnt und auf der Karte findet man ihn leicht. Außerdem ist er keine Hauptattraktion und verspricht einen entspannten Besuch ohne zu viele Menschen und Touristenfallen. A. fährt mich bis direkt vor das Westtor und wir machen ab, dass wir uns in zwei Stunden am gleichen Ort wiederfinden.

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ALLEINE GEHT ES HALT DOCH NICHT

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Rosen gehen immer, Indien

Ursprünglich wollte ich meine Zeit in Indien in einem Ashram verbringen, Yoga machen und zu mir selbst finden. Ich wollte Indien erleben, wie es verkauft wird. Mein ganz persönliches „Eat, Pray, Love“ realisieren. Aber wie immer kommt alles anders. Dank J. und ihrer Familie begegne ich einem Indien, das tief verankert ist im Hier und Jetzt. Einer Kultur, die so anders und doch so ähnlich ist wie die meine. Ähnlich wie zu Hause ist meine Situation in Indien privilegiert. Ich merke schnell, dass was mir merkwürdig erscheint, hier Normalität ist. Es bleibt für mich zum Beispiel merkwürdig die Arbeitszeit eines anderen Menschen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hier ist das normal. Die Haushalte, die ich besuche, haben alle einen oder mehrere Hausmanager. Manchmal ist es die Aufgabe einer ganzen Familie, sich um die Belange einer anderen zu kümmern. Ich gewöhne mich schnell daran, ertappe mich jedoch dabei, einige Sachen nicht aus der Hand geben zu wollen. Also verschiebe ich sie auf die Abendstunden, um in aller Ruhe meinen Reinigungs- und Flickaufgaben nachzukommen. Was uns Europäern als prekäres Lebensverhältnis vorkommt, ist hier ein begehrenswerter Beruf. Wie immer ist das Spektrum zwischen Arm und Reich unfassbar viel größer, als wir uns das vorstellen können.

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DER SPRUNG NACH INDIEN

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Das Grab des Shish Gumbad, Lodhi Park, Indien

Das monotone Brummen des Motors und die leicht zitternden Flügel des riesigen weißen Vogels, den ich in Dubai – nein, seien wir präzise – in Sharjah widerwillig bestiegen hatte, fliegt direkt auf eine undurchschaubare weiße Mauer zu. Wir lassen den schönen rosa Himmel, die freie Sicht und die idyllische Inselluft hinter uns. Delhi.

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100 BLOGTEXTE

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Looking into the bag, New Delhi, India

Nach 484 Tagen beginne ich nun endlich meinen 100. Blogpost zu schreiben, genau genommen ist es mein 105. Blogpost, „but who's counting“! Am 537. Tag, habe ich ihn dann auch endlich redigiert, übersetzt und veröffentlicht. Alles dauert länger als man denkt.

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PAUSE

English Text
Blick vom Persischen Golf,  Vereinigte Arabische Emirate

Das volle Ausmaß meiner zwei Monate im Iran wird mir erst in Dubai bewusst. Zunächst verbringe ich fünf Tage in einem Hotel, in einem kleinen Apartment. Ich ernähre mich von Chips, Cola und drittklassigem Brioche. Alles, nur um nicht auf die Straße zu müssen. Ich schlafe und schaue Netflix. Ich bin überfremdet und muss meine Verteidigungsmauern ganz neu aufbauen. So ganz kann ich mir das alles nicht erklären, bis mir die Tennistrainingskanone in den Sinn kommt. Reisen ist im besten Fall eine gelungene Tennisstunde. Ich reagiere schnell und spontan auf die auf mich zukommenden Bälle. Im besten Fall treffe ich sie und schmettere sie zurück auf die andere Seite des Netzes. Ab und an lasse ich einen ins eigene Netz prallen, jedoch nur selten trifft mich der Tennisball am eigenen Körper. In Iran haben mich zu viele Tennisbälle getroffen. Am Ende stehe ich zu häufig mit über dem Kopf verschränkten Armen da. Eine Abwehrposition, die gegen die auf mich zu sausenden Bälle nichts ausrichten kann. Ich bin hilflos. Ein verdammt unangenehmes Gefühl.

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BANDA ABBAS UND DIE ANDEREN

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Die ersten Palmen, Willkommen im Süden, Banda Abbas, Iran

Das Trampen ist ein leichtes und abenteuerliches Unterfangen. Wir machen weiter mit den in Alamut bereits angetesteten Geschichten, jedoch kann ich das Gefühl andere Menschen auszunutzen nicht ganz vermeiden. Dabei geht es nicht um finanzielles Ausnutzen, sondern darum, dass man Menschen hier, damit sie einem helfen, bestimmte Narrative geben muss. Zunächst weiß man im Iran nicht was Trampen ist, noch kennt man irgendjemanden, der um die Welt reist. Reisen ist immer gleich Ferien und Tourismus. In ihren Köpfen müssen wir unendlich reich sein, damit wir uns das leisten können. Als Pärchen mag das alles noch gehen, aber alleine ist es unvorstellbar. Vor allem als Frau. Für Männer ist es jedoch ebenfalls gegen die Natur. Müssen sie nicht endlich mal ans heiraten denken? Denn nur wer heiratet darf sexuell aktiv sein, ein Dilemma, das die Jungen in die Ehe treibt. Die Wahrheit ist demnach keine Option.

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SHIRAZ – DAS AUFGEBEN

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Die Pinke Moschee im Spiegelbild mit Goldfischen, Shiraz, Iran

Shiraz war besonders und doch ganz typisch. Durch den Tip einer anderen Reisenden fand ich ein Einzelzimmer für den Preis eines Hostelbettes. Dort verbrachte ich eine gute Woche, schlief lang und machte nur das wirklich Nötigste. Ich hatte großes Glück, denn beim Frühstück traf ich eine ganze Reihe von anderen Soloreisenden, mit denen ich mich austauschen und beraten konnte. Ich machte eine Tour an die wichtigsten Orte in der Nähe (Persepolis etc.) mit M. einer Französin, die ähnlich wie ich immer wieder für längere Zeit unterwegs ist, jedoch Flugzeuge benutzt. Wir verbrachten endlos schöne Stunden damit uns über unsere Entdeckung des Feminismus zu unterhalten, tauschten Podcasts aus und erzählten uns unsere Träume und Pläne. Selten findet man Menschen mit denen man so schnell auf so vertrautem Fuß ist. Ohne M., der Weltreisenden, M., dem Fahrradfahrer und M., der Performancekünstlerin weiß ich nicht, was ich in Shiraz mit mir angefangen hätte. Ich war so gefangen in meinem Frust und meiner Erschöpfung, dass die Ruhe aus dem Süden gerade dazu gereicht hatte, ein wenig klarzukommen. Sowohl M., die Weltreisende, als auch M., die Performancekünstlerin, hatten ähnliche Sachen wie ich erlebt. M, die Weltreisende, war genauso erschüttert und erschöpft wie ich. M., die Performancekünstlerin, jedoch hatte sich ihre Wege und Menschen gesucht. Sie blieb für die gesamte Zeit ihres Visums in Shiraz, sodass sie sich ein Künstlernetzwerk aufgebaut hatte und uns anderen wertvolle Tipps geben konnte.

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VISA, UND WO KOMME ICH HIER RAUS?

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Suha, eine der Protagonistinnen des Buches „Women of Sand and Myrrh. A novel“ von Hanan al-Shaykh, antwortet ihrem Mann im Streit um das Rückzugsdatum aus dem Wüstenstaat in die westliche Welt, auf die Frage, warum es plötzlich so unglaublich dringend sei: „Nothing's happened. I'm going to explode, that's all.“ Ein Gefühl, das ich nachvollziehen kann und Worte, die ich des öfteren genauso gesagt habe. Ich muss hier raus oder ich gehe in die Luft. Ich kann nicht länger in den noch religiöseren Osten des Landes reisen, um eventuell in Mashad oder Zahedan vielleicht doch noch ein Visum für Pakistan zu bekommen, obwohl beide Konsulate mir telefonisch bereits jegliche Erfolgsmöglichkeiten abgesprochen haben. Ich bin erschöpft, meine Nerven liegen blank. Häufig denke ich an die Worte meiner Tante, die in meinem Patreon fragte, was das an meiner Reise ändern würde, wenn ich in ein Flugzeug steigen müsste. So richtig kann ich ihr keine Gründe nennen, außer kosmetische. „Ich wollte ohne Flugzeug um die Welt reisen.“, „Ich will die langsam sich verändernden Kulturen nachvollziehen können und so vielleicht ein bisschen besser verstehen lernen“, „die Kette würde reißen.“ und „Andere Deutsche haben es auch schon geschafft, warum sollte ich scheitern?“

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DAS „ÜBERLEGENE“ GESCHLECHT

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Ich hätte meine Zeit im Iran nicht überlebt ohne das Wissen, dass es eine Welt gibt, in der Frauen wie ich existieren. Vieles von dem, was hier steht, habe ich schon oft gelesen oder gehört. Es ist nichts Neues, jedoch habe ich es im Iran emotional auf einem Level verstanden wie noch nie zuvor. Der Iran hat mich vollends zur Männlichkeitshasserin gemacht. Ich kann stundenlang darüber reden, wie schrecklich Männer sind und nur mit einem Satz am Ende andeuten, dass ich auch tolle kenne (allerdings meistens keine von hier). Ich habe genau einen vertrauenswürdigen Iraner in meiner Zeit dort kennengelernt. Einen Einzigen. Alle anderen meinten, dass ich früher oder später mit ihnen schlafen müsste, dass sie ein Recht auf meinen Körper hätten. Auch beim Schreiben werde ich noch wütend und der Hass steigt mir in heißen Wellen den Nacken empor.

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EINER FÜR ALLE oder SCHUHE

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Einer für Alle

Am 8. Juli 2016 schrieb ich meinen ersten fiktiven Blogpost. Ich habe ihn nie veröffentlicht. Hier ist der erste Paragraph:

 

„SCHUHE. Wenn alles gut läuft, dann werde ich dieses eine Paar Schuhe für die nächsten 5 Jahre tragen: jeden Tag und auf jeder Tour, in der Stadt, am Meer, in der Wüste (Eis oder Sand), auf dem Berg, im Tal, auf der Hochebene. Ein paar Schuhe für alle Situationen, ohne dass ich genau wüsste WAS ich damit alles sehen würde. Wie bei allem, was ich für diese Reise organisieren musste, war ich auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau.“

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DAS FRAU-SEIN

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Vorsicht wütende Katze, Yerewan, Armenien

Wut. Jedes Wort im folgenden Text ist getränkt von Unverständnis und Wut. Auch zwei Wochen nachdem ich ihn geschrieben habe, kann ich sie noch frisch in meinem Bauch fühlen. Ich lasse diesen Text so stehen wie er ist, weil es beim Reisen zu solchen Situationen kommt. Nicht darüber zuschreiben, wäre meiner Reisedokumentation unwürdig und meinem Empfinden nach unehrlich. Ich habe inzwischen mit vielen reisenden Frauen darüber geredet und allen ist ähnliches oder schlimmeres zugestoßen und das nicht nur beim Reisen. (Was es nicht besser macht, nur zu einer Realität mit der wir leben.)

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ANGST

English text
Der Sternenhimmel, Kazbegi, Georgien

Angst. Die spielt bei mir eine große Rolle.

 

Ohne sie geht es nicht. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt meiner Reise.

 

Viele Frauen, denen ich begegne sagen mir: „Das was du machst, würde ich auch gerne machen, aber ich kann das nicht. Ich habe Angst.“

Ich kann das gut verstehen. Ich habe auch Angst.

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GLÜCKLICHSEIN

English text
Dreifaltigkeitskirche Gergeti, Kazbegi, Georgien

Das letzte Mal so richtig glücklich war ich - soweit ich mich erinnere - in Finnland beim Eisbaden. Alle meine Sinne waren in der Situation, damit beschäftigt herauszufinden, was da gerade mit meinem Körper passiert. Fasziniert von den tausend unbekannten Empfindungen und Gedanken, die dieses Erlebnis bei mir auslöste, war ich unfähig über Vergangenes oder Zukünftiges zu grübeln. Es schien gegenüber dem Hier und Jetzt bedeutungslos. Ich beschreibe diesen Zustand als Glücklichsein, bin mir aber nicht sicher ob es das tatsächlich ist. Schließlich war ich vollauf damit beschäftigt, das Spektrum zwischen Schmerz und Wohlgefühl zu erkunden. Nicht unbedingt ein Spektrum, das jedermann begeistert.

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EIN NEUER ANFANG

English text
Blumenvielfalt auf 2.000 Metern, Kazbegi, Georgien

Georgien. Der Kaukasus beginnt hier von einer Sekunde auf die andere. An der Stelle, an der mich mein russischer Taxifahrer abgesetzt hat, ist das Tal noch breit und die Berge sehen aus wie schmächtige Halbwüchsige. Der Grenzübertritt nach Georgien liegt einen Kilometer südlich in der Kerbe einer mächtigen Schlucht. Die Dreitausender steigen zu allen Seiten selbstbewusst in die Höhe und gebieten Ehrfurcht. Anstelle von Militär wird die Grenze hier von einem großen Mönchskloster bewacht. Dort mache ich meine erste Pause und gratuliere mir zum Landeswechsel. Schon lange bin ich dazu übergegangen auch kleine Etappen zu feiern. Manchmal ist der Weg im Kopf so viel weiter als die tatsächlichen Kilometer.

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PAKA RUSSLAND

English text
Tschüss sagen am schönsten Fluss der Welt, Samara, Russland

Russland! Viel zu schnell ist die Zeit verronnen. Viel zu lange brauchte ich am Anfang um zurecht zu kommen und doch habe ich es am Ende irgendwie geschafft. Der riesige schwarze Fleck auf meiner Landkarte, Russland, ist nun angefüllt mit Anekdoten und Ideen, Menschen und Lebensentwürfen. Ich konnte Vorurteile kontextualisieren und relativieren. Ich habe viel gelernt. Ein letztes Mal spüre ich nun das Rattern des Russischen Zuges. Wir fahren in langsamem Trott auf die Berge zu. Mein Kopf wandert in die entgegengesetzte Richtung, zurück nach Russland. Es ist so viel geschehen in diesem Land. Es gibt einige Momente, die mir geholfen haben mich meiner so unverständlichen Umgebung aufs neue zu Widmen. Es sind oft kleine, ruhige Momente und vielleicht bleiben sie gerade deswegen so frisch in meiner Erinnerung.

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BALAKLAWA

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Balaklawa, Krim, Russland

Balaklawa ist ein kleiner Küstenort, ehemaliger Militärstützpunkt und Touristenparadies. Die alten Herren sitzen mit Hut am Hafen, halten die Angel in das türkisblaue Wasser und rufen sich von Zeit zu Zeit etwas zu. Die Menschen hier sind schön. Wie die Landschaft sind sie Meisterwerke der Zeit. Im Hafen liegen Jachten aus Amerika, Europa und Russland. Wie immer wissen die Reichen dieser Erde genau, wo es sich zu leben lohnt. Die Küste ist bergig und zerklüftet. Das Land fällt in Klippen ins tiefblaue ruhige Meer, das gelbe vertrocknete Gras schaukelt mit den Kornblumen in der Abendsonne und die Grillen zirpen um die Wette.

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ERSTE EINDRÜCKE VON DER KRIM

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Altes Krankenhaus und unser Schulgebäude, Jewpatoria, Krim

Die Krim ist nicht das Krisengebiet, als das es viele westliche Medien beschreiben. Es ist jedoch auch nicht die heile Welt, zu der die Insel in Russland stilisiert wird. Die Wahrheit, der ich begegne liegt, wie immer irgendwo dazwischen. An einigen Nachmittagen fliegen Fighter Jets über den Strand. Die Mädchen bemerken es nicht, die Jungen zeigen aufgeregt in den Himmel. Einige Minuten später hört man ein Krachen. Wird da was getestet? Die Kinder sind sich nicht sicher, das ist doch bestimmt entfernter Donner! Auch keiner der Anderen möchte so etwas wie eine Explosion gehört haben. Wir zwei Ausländer sind uns bei dem strahlend blauen Himmel jedoch fast sicher. Am nächsten Tag zieht keiner die Verbindung zu dem noch grünen und in Massen an den Strand gespülten Tiefseegras, sowie der großen Anzahl von herumtreibenden Quallen...

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KULTURELLE UNWÄGBARKEITEN #3

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Abendsonne im staubigen Samara, Russland

Als ich mich das erste Mal an den Tisch setzte, saß ich vor einem Teller nackter Nudeln und einem Stück vom ganzen Huhn, dass I. fünf Stunden lang im Ofen gebraten hatte. Der Teller war so groß wie ein Frühstücksteller in Deutschland, aber zum Bersten voll. Dazu gab es einen kleinen Beistellteller von der Größe einer Untertasse mit Tomaten- und Gurkenschnitzen, auch die gab es ohne Sauce. Auf dem Tisch lagen Ketchup und Mayonnaise.

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KULTURELLE UNWÄGBARKEITEN #2

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Abendsonne auf der Wolga, Samara, Russland

In Russland werde ich als Frau ohne Umschweife nach meinen Lebensumständen gefragt. Oft in der ersten Stunde einer Begegnung und meistens von anderen oft älteren Frauen. „Was ist dein Beruf?“, „Bist du verheiratet?“, „Möchtest du irgendwann einmal heiraten?“, „Möchtest du Kinder haben, du kannst toll mit ihnen umgehen, du solltest sehr bald, nein sofort, Kinder bekommen!“, „Hast du einen Freund?“ und „Warum bist du in Russland?“

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KULTURELLE UNWÄGBARKEITEN #1

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Streetart in der Provinz, Sizran, Russland

Ich habe ein wenig den Überblick darüber verloren, was ich bereits gesagt habe und was nicht. Aber eines ist mir klar, über Traditionen kann ich hier in Russland nicht schreiben. Mein Erleben der Kultur ist ein ganz anderes als in anderen (Europäischen) Ländern. Mein gesamtes Vorwissen ist von Vorurteilen überschattet und im Prinzip habe ich die letzten vier Monate damit verbracht, sie aus dem Weg zu räumen. Ich habe keinerlei Expertise, die mir einen Nordpfeil geben würde, die ein Schreiben über Russische Traditionen für jemanden der auch nur ein wenig über das Land weiß, genießbar macht. Ich komme über mein eigenes Erleben der Kultur nicht hinaus, deshalb werde ich im Folgenden über kulturelle Unwägbarkeiten schreiben. Eine, meiner Meinung nach, viel treffendere Bezeichnung meiner Umstände.

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SOMMER IN SAMARA

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Pinkes Tor in der Mittagshitze, Samara, Russland

Der Sommerregen in Samara ist schwer und laut. Wenn es Nachts regnet hört es sich an als würde eine Herde von Wildpferden vor meinem Fenster entlang rennen. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass die Regentropfen hier besonders groß sind oder besonders laut auf das Vordach aufschlagen. Das Plätschern des fließenden Wassers in den Regenrinnen hört sich an, als würde ein mittelgroßer Bach vor meinem Fenster in die Wolga hinab strömen. Die Akustik verwirrt mich, ist aber auch bezaubernd unrealistisch, denn am nächsten Morgen zeugt nichts mehr von den imaginären abendlichen Wassermassen. Dann zwitschern die Vögel vor meinem Fenster und die überdimensionierten Fallrohre der Regenrinne lassen erahnen wo der rauschende Bach in die Tiefe fiel. An manchen Morgen ist es mucksmäuschenstill im Haus, nur den Strom kann man durch die Wände brausen hören und der kleine Gästekühlschrank brummt dezent in der Ecke. Anders als im Winter knackt die Heizung jetzt nicht mehr. In der Ferne des Hauses (oder vielleicht auch des Nachbarhauses) höre ich die ersten Zeichen von Leben, jemand rückt Stühle.

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DIANAS ABSCHIED

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Almwiese in voller Blüte, Appenzell, Schweiz

Dianas Asche stäubt in grauen Wolken über das Appenzellerland. Wie als hätten wir das so bestellt ist das Bergland in graue Wolken gehüllt. Die bei Sonnenschein so beeindruckende Weite der tiefgrünen rollenden Hügel wird durch die graue Wolkenwand verkürzt und wirkt dadurch geschützter als sie bei Sonnenschein je erschienen wäre, fast intim. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch und an den noch ungemähten und in voller Blüte stehenden Wiesen hängen zahlreiche Wassertropfen. Da wo unsere Schuhe durch das Gras streifen perlt das Wasser an dünnen Grashalmen hinab oder legt sich wie eine klammernde Umarmung über das frisch polierte Leder unserer Schuhe. Wir stehen alleine auf weiter Flur. Das trübe Wetter bewahrt uns vor der sonst unvermeidbaren Touristenmeute des Wochenendes. Einer nach dem Anderen greifen wir in den kleinen Leinensack und heben die Asche gefüllte Hand in den Himmel. Das hier ist merkwürdig direkt und unzeremoniell, denn da vorne am Abgrund steh ich ganz alleine mit meinem Abschied in der Landschaft und schaue meiner Oma dabei zu, wie sie über die Wiesen tanzt...

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AUS DEUTSCHLAND

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Vor dem Seealpsee in der Schweiz

Vor einem Monat habe ich eine ganze Reihe von Texten verfasst über das, was als nächstes hier passieren sollte. Sie haben Titel wie „Und jetzt?“, „Und dann“ und „Ankommen“. Zum Veröffentlichen komme ich nicht.

 

Ich bin auf dem Weg nach Deutschland und mein Herz, mein Kopf und meine Reisewut stehen Kopf. Meine Lippen pellen sich, wie auch schon bei der Einreise nach Russland bekomme ich einen Herpes so groß wie eine Erdbeere. Das passiert bei mir immer bei einer ganz spezifischen Art von emotionalem Stress. Oft weiß ich erst beim aufblühen dieser kleinen Pest, dass ich ein Problem habe. So auch dieses mal. Die Nächte sind kurz und der Schlaf will einfach keine Erleichterung bringen. Bei meiner Ankunft in Deutschland habe ich ein verkrustetes Hitlerbärtchen.

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DER STAND DER DINGE

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Zitronen im Botanischen Garten von St. Petersburger, Russland

Manchmal gibt das Leben mir Zitronen und ich mache keine Limonade aus ihnen. Das war letzte Woche. Diese Woche ließ ich die Zitronen Zitronen sein und suchte nach Erdbeeren. Während ich mit meinen Zitronen kämpfte (eine leichte Magendarmsache, Grübeleien, gefolgt von einer leichten Erkältung, die sich in einen miesen Virus verwandelte und mich für eine Woche danieder schlug), wachsen die (hypothetischen) Erdbeeren unbemerkt in allen Ecken. Jetzt habe ich sie geerntet und eine vorzügliche Erdbeercreme gemacht.

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DIE WELT IST EIN DORF

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"das Alte Samara", Samara, Russland

Wenn ich in irgend etwas ein Profi bin, dann im „im Ausland sein.“ Hier in Samara ist es mein viertes Mal, dass ich in einem Land bin, die Sprache nicht kann, mich in eine neue Umgebung eingewöhne und versuche, eine neue Sprache zu lernen. Langsam kenne ich die Probleme, die sich mir stellen und langsam weiß ich wie ich mit ihnen umgehen kann. Ich kenne die Schritte, die ich durchlaufen werde, bevor ich mich das erste Mal richtig wohl fühle. Natürlich gibt es kleine Unterschiede, aber häufig sind meine Reaktionen ähnlich. Diese Schablone gibt mir Sicherheit in meiner Kommunikation über meinen Lernweg. Ich kann plötzlich sagen wo ich mich befinde, was ich später wahrscheinlich können werde. Das fasziniert mich.

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ÜBERS ANFÄNGER SEIN

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Ein Seminarraum in Samara an der Uni, Russland

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nichts kann. Nichts so richtig bis ins letzte Detail. Die Perfektion entzieht sich mir. Dabei kann ich objektiv betrachtet eine ganze Menge und nicht wenig davon ziemlich gut. Das ist etwas, was ich mir hier in Russland immer wieder ins Gedächtnis rufen muss. Denn gerade fühlt es sich an, als könnte ich nichts. Ich bin wieder einmal Anfängerin. Für mich ist diese Situation ein Quell der Freude und des Horrors.

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DIE PROVINZ

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Samara, Russland

Die Fahrt mit dem Nachtzug verlief unkompliziert und friedlich. Ich teilte mir die Kabine mit einer Russin, die mich gutmütig unter ihre Fittiche nahm, sowie zwei Russen. Mir wurde mein Gepäck verstaut und durch Pantomime erklärt wie das hier funktionieren würde. Natürlich kam nur die Hälfte der Informationen bei mir an. So verstand ich zum Beispiel nicht, dass die Frauen im Abteil allein gelassen wurden, damit sie sich umziehen könnten. Später würden wir das Selbe für die Männer tun. Während ich noch darüber nachgrübelte, ob ich mein Gepäck mit den Männern in der Kabine allein lassen könnte, kam bereits der Schaffner und machte uns Frauen Beine. Er hat den Wagen fest im Griff, kommt Nachts herein um die Reisenden an den richtigen Bahnhöfen zu wecken und mit Tee aus bleiverzierten Glasbechern zu versorgen. Er weiß genau Bescheid und hat bereits einen Kommunikationsweg mit mir aufgebaut, indem er mir forsche Einwortsätze entgegenwirft. Meine Kabinenbegleiterin tut ihr Bestes, um mir diese Worte pantomimisch zu übersetzen und so wird Чай (Tee) mein erstes Russisches Wort.

Bereits eine Stunde vor meiner Ankunft liege ich immer noch wach im Bett und schaue angestrengt aus dem Fenster. Bin ich schon da? Wann würden die Städte kommen? Aus meinem kleinen Schlitz am oberen Rand des Fensters sehe ich nur Schnee, Büsche und Straßenlaternen die ihr Licht in gleichförmigen Streifen durch die vorbeifahrende Kabine werfen. Hier ist nichts. Noch nicht einmal Kleingartenanlagen. Keine Industrie. Nur die Schienen. Das kann Samara noch nicht sein. Das wandernde Licht in der Kabine und das rhythmische Zuckeln des Zuges sind Massage und Folter in einem. So komme ich nach einer langen, schlafarmen Nacht in Samara an und stolpere buchstäblich auf das Gleis, auf dem mich meine Gastgeber bereits erwarten.

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DIE WÜTENDE PRINZESSIN UND IHRE ZWEI WÜTENDEN KATZEN (RESÜMEE)

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An einem meiner letzten Wochenenden halte ich Sake (oder doch Kake?) zum ersten Mal im Arm, Finnland

Nach 182 Tagen hat mein Blog die Realität fast eingeholt. Über vieles hatte ich eine ganze Menge zu sagen. Aber manche Sachen passieren einfach und lösen nichts aus. Andere haben mich im Vorbeifahren beeindruckt. Nicht alles verdient einen langen Text, anderes passt einfach nicht hinein. Bevor ich Finnland verlasse, wollte ich einmal den virtuellen Boden kehren.

 

Eine Freundin hat mich vor kurzem gefragt, was mir mein Aufenthalt in Finnland gegeben hat. Die Antwort ändert sich ständig in meinem Kopf. Ich kann auch drei Wochen, nachdem ich Finnland verlassen habe, nur schwer ein Resümee ziehen.

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ABSCHIED VON FINNLAND

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Einer der zahllosen spektakulären Sonnenaufgänge in Finnland

Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ich bekam mein Visum für Russland, kaufte meine Fahrkarte, hatte meine ersten wirklich großen Erfolge beim Abholen der Kleinsten im Kindergarten (Ausbruch von Begeisterung und Freude bei meinem Anblick), fand den Draht zum Mittleren und ging viel zu spät das erste mal Langlaufen. Pünktlich am 31. Januar kam meine Nachfolgerin und wurde von mir für den Rest der Woche eingearbeitet. Nun gut, und dann saß ich im Zug. Zack, bum, aus: Kapitel abgeschlossen.

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DER SPAZIERGANG

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Das Sommerhaus meiner Finnen bei Kalajoki, Finnland

Es gab einige Momente an diesem Weihnachten, welche sich für die Ewigkeit in mein Bewusstsein gebrannt haben. Zum einen war es das gefrorene Meer und das wunderschöne Sommerhaus meiner Gastgeber, zum anderen war es ein Spaziergang, den ich am Weihnachtstag mit den Hunden machte.

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DIANA

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Regentropfen am Autofenster, Finland

***

Ich wachte eines Morgens auf und bevor ich das Licht anmachte, checkte ich die Uhrzeit. Mein Blick fiel auf mein Handy: „Oma ist um zwei Uhr heute Morgen gestorben, nachdem sie ein Hirnödem bekommen hatte.“

 

So sitze ich erstmal im Dunkeln. Typisch für meine Familie werden emotionale Botschaften auf bare Fakten heruntergebrochen. Es braucht eine Weile bis ich verstehe, was das bedeutet. Ich weiß nicht, was ich tun soll, also bleibe ich, wo ich bin, eingemummelt in meinem von Schlafwärme erfüllten Bett im ansonsten kalten Zimmer in Vantaa, Finnland. Bald spüre ich, wie sich nasse Flecken auf meinem Schlafanzug bilden. Tränen kullern über meine Wangen, die schwarze Nacht ist wie eine schützende Decke, als wäre die Zeit stehen geblieben, als könnte das Ziehen in meiner Brust und in meiner Kehle den Moment hinauszögern. Der Sonnenaufgang würde unweigerlich kommen. Mit ihm würde der Tag beginnen. Der erste Tag ohne sie als Teil meiner Welt.

 

In gewisser Weise hatte ich mich auf diese Situation vorbereitet. Nicht wirklich und tatsächlich, eher spielerisch und leichtfertig. Deswegen war ich mit ihr nach Helgoland gereist, bevor ich Deutschland den Rücken zukehrte. Als ich ihr damals in Hamburg Tschüss sagte, wusste sie viel besser als ich, wie die Wahrscheinlichkeiten für ein Wiedersehen standen. Sie wusste, was Abschied bedeutete. Ich ahnte es nur.

 

Sie war eine meiner treuesten Leserinnen und hat die besten Kommentare unter meine Artikel geschrieben (1, 2, 3). Sie verstand nicht, woher ich den Mut und die Zuversicht nahm, einfach so los zu reisen. Aber sie nahm es hin. Sie war eine harte, leidenschaftliche und scharfzüngige Person und sie war für mich eine der wichtigsten Identifikationsfiguren in meiner Familie.

 

Das kam daher, dass ich als einziges blondes Kind in eine Familie von Dunkelhaarigen geboren bin und bei Fragen immer auf das blonde Haar meiner Oma verwiesen wurde. Es ist nicht überraschend, dass ich häufig zu ihr schaute, um Ähnlichkeiten zu suchen. Ich fand sie.

 

In Vantaa traute ich mich zunächst zögerlich die Treppen hinunter. Es war ein Wochenende und inzwischen hell draußen, die ganze Familie war im Haus. Freundlich wurde ich begrüßt und in den morgendlichen Ablauf eingegliedert. Mit R. und B. alleine teilte ich ihnen mit, was passiert war und dass ich eventuell nach Deutschland fliegen würde. Später stellte sich heraus, dass das nicht nötig war, aber das ist ein anderes Kapitel.

 

B. und R. kennen Trauer viel besser als ich. Sie trafen genau den für mich richtigen Ton zwischen Anteilnahme, Wärme, Trost und Distanziertheit. Sie gaben mir den Autoschlüssel und ließen mich ziehen. Ich war froh, mir die Zeit nehmen zu können.

 

Draußen in der Natur schaffte ich es langsam, mich zu fassen. Noch nie war ich so Traurig. Ich bin froh, dass es nur die Kaninchen, die Bäume und mein Auto, der Silver Bullet, sahen. Meine Tränen waren keine Aufforderung an die Außenwelt. Sie verschafften Erleichterung und wie das Lachen drückten sie ein Gefühl aus ohne eine Reaktion zu fordern.

 

Ich bin froh, nicht zu Hause zu sein und mich mit meiner Familie auseinandersetzen zu müssen. Jeder von uns hatte ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu Oma Muck und jeder ein anderes Bedürfnis zu trauern.

 

Noch nie war ich einfach nur traurig. Trauer ohne Wut, Scham, Machtlosigkeit. Ein bisschen erstaunt stelle ich fest, dass reine Trauer wie andere Schmerzen ist, eine Gratwanderung zwischen Schmerz und Geborgenheit, so bitter, wie es süß ist. Am Anfang ist es unangenehm und raubt einem den Atem, bis es Sekunde für Sekunde ein bisschen weniger weh tut. Unter dem Schmerz liegt die Erinnerung an Momente, Tage und Gedanken, die man geteilt hat und nun nicht mehr teilen können wird. Boom. Wieder ein Stich.

 

Niemals werde ich diesen Blog samt ihren Kommentaren jemals löschen können. Ich muss weitermachen. Auch wenn die Leserzahlen noch nicht ins Unermessliche gestiegen sind und mein Einkommen sich nach wie vor aus meinem Ersparten generiert. Es gibt jetzt erst recht keinen Weg zurück.

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ROUTINE, EIN LUXUS

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Besuch beim Frühstück, Seutula, Vantaa, Finnland

Luxus definiere ich auf meiner Reise ganz neu. Der größte Luxus ist ein gemütliches Bett, und der zweitgrößte ist Zeit zum Verweilen. Um diesen Luxus zu garantieren, trage ich das gemütliche Bett auf dem Rücken und die Zeit zum Verweilen nehme ich mir. Dies ist der Grund, warum das Reisen auf lange Sicht für mich erträglich bleibt. An dritter Stelle kommt der Luxus von Routinen. Bisher war ich davon ausgegangen, dass Routinen den Tod meiner Kreativität mit sich bringen. Hier in Vantaa erlebe ich jedoch das Gegenteil. Der all morgendliche Mokka aus der (extra für mich angeschafften) Bialetti birgt jeden Morgen ein Stück Heimat in sich. Der vertraute Geruch von manchmal eventuell ein wenig verbranntem Kaffee, dem Geräusch des blubbernd aufkochenden Wassers und die schwarze dickliche Flüssigkeit in einer mittelgroßen weißen Tasse bringen mir allmorgendlich eine halbe Stunde des Stillseins. Dieses Gefühl bringt mir nicht der Kaffee allein. Es ist vielmehr das Durchgehen der bekannten Schritte, was diese Zufriedenheit in mir hervorruft: der leichte Geruch, das Geräusch, der Kaffee. Das ist der Teil der Routine, die ich aus Italien nach Hause gebracht habe und von dort hier her.

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AUPAIR

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Finnischer Jugenstilboden, Helsinki, Finnland

Hier in Finnland sind Halbtagsjobs selten. Ein Umstand, der nach sich zieht, dass überdurchschnittlich viele Familien die Hilfe eines Aupairs benötigen. Da ich nicht wusste, was mich auf der Website, die mir für das Suchen der Aupairfamilie empfohlen wurde, erwartete – ich war seit meinen Couchsurfing- und Woofingerfahrungen vorsichtiger geworden – schrieb ich direkt fünf oder sechs verschiedene Familien an. Alle antworteten mir innerhalb der nächsten drei Tage. Mit zweien nahm ich weiteren Kontakt auf. Beide wirkten sympathisch, unaufgeregt und frei gerade heraus. Die eine Familie lebte vor Turku auf dem Archipelago (AUF EINER INSEL!), sprach vorwiegend Schwedisch und hatte noch nie ein Aupair, die andere lebte in Vantaa, dass ist die Region nördlich von Helsinki.

Der zweiten Familie war vor ein paar Wochen das Aupair davon gelaufen und sie waren bereit mich ab sofort für drei Monate bei sich aufzunehmen. Ich war direkt hellhörig geworden, das Aupair war ihnen davon gelaufen? Vielleicht waren das furchtbare Menschen? Beim Telefonat wirkten sie jedoch sehr sympathisch. Die Mutter am PC im Gespräch mit mir und der Vater dabei, die Kinder ins Bett zu bringen. Was am Ende ausschlaggebend dafür war, dass ich mich für diese Familie entschied, war außer dem zufällig perfekten Timing, die super klare Kommunikation. Meine Aufgaben und Arbeitszeiten waren deutlich umrissen und in der Unterhaltung stellte sich heraus, dass sie in meinem Sinne dachten. Es ging ihnen nicht darum, das meiste aus mir heraus zu holen und dadurch eventuell anfallende Kosten zu sparen, sondern darum, die Lücke zu füllen, die sie selbst nicht mehr schließen konnten. Ich war die Lösung zu einem Problem. Die Mama und der Papa konnten nicht rechtzeitig zu Hause sein um die Kinder zu ihren Aktivitäten zu fahren. Da sie auf dem Land wohnten, war ohne Auto kein Fußball, Leichtathletik, Schlagzeug, Musiktheorie oder Bandprobe für die Kinder möglich. Um den Kleinen alle Möglichkeiten zu eröffnen, brauchten sie einen Chauffeur. Falls ihr mich kennt, lacht nicht! Seit ihr mich das letzte mal Auto fahren gesehen habt, habe ich viel gelernt.

Mir dämmerte, dass das vielleicht genau das Richtige wäre. Ich würde die Lösung eines Problems außerhalb meines eigenen kleinen Kopfes sein. Ich würde außerdem drei Monate Zeit haben, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und das entsprechende Visum zu beantragen, würde Weihnachten in Finnland verbringen (mega Bonus!) und Zeit haben, mich in Routinen wohl zu fühlen. Mein nächster Stop würde Helsinki sein. Dort würden wir uns treffen und weitersehen. Im Herzen war meine Entscheidung schon gefallen. Das würde ich ausprobieren.

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ANDERE KULTUREN

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Rue barree in einem Dorf in Nouvelle-Aquitaine, Frankreich

Angefangen hat alles, als ich zu meinem ersten Schüleraustausch gefahren bin: für 10 Tage nach Toulouse. Es war anders, komisch, freundlich und beeindruckend. Mein Austauschpartner war ein Junge mit Migrationshintergrund, der mit seiner Mutter, seiner Schwester und einem kleinen Hund in einer zwei Zimmerwohnung in einem der ärmeren Viertel Toulouses lebte. In Frankreich am Lycée gab es strenge und oft unverständliche Regeln, sowie Aufpasser, die auf ihre Einhaltung pochten. In der Schule waren viele Gesichter bunt, ganz anders als an der katholischen Schule im Osten Deutschlands, auf die ich ging. Die Lebenswelt war ein Kontrastprogramm zu dem, was ich von zu Hause gewohnt war. Wir sind vier Kinder, lebten in einem Haus in einem der reicheren Viertel unserer Stadt, haben einen Garten direkt am Haus, meine Mutter war zu Hause und wir Kinder hatten alle ein eigenes Zimmer. Nie wäre ich in der Lage gewesen mir vorzustellen wie schön beide Lebenssituationen sein können.

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DAS GUESTHOUSE

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Der Corridor

Zurück nach Lettland...

 

Kennt ihr Menschen, die sich bei einem Horrorfilm unter Decken und Kissen verstecken, nicht aufhören zu reden, oder Sachen rufen wie: „Nein, geh da nicht rein!“ oder „Oh maaaan! Wie dumm muss man sein!“ raunen? Ich bin so ein Mensch, weshalb ich nie, nie, nie Horrorfilme schaue. Horrorfilme und Sport treiben sind zwei Zeitvertreibe, die ich aus dem gleichen Grund nicht verfolge. Sie erscheinen mir als sinnfrei und reiner Selbstzweck. (I know debatable...) Da ich keine Horrorfilme schaue, war ich immer davon ausgegangen, dass ich nie einen Horrorfilm schreiben könnte. Ich verstehe einfach nicht, was in den Charakteren vor sich geht. Seitdem ich in diesem AirBnB übernachtet habe, ist das anders:

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EIN ERSTES RESÜMEE

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#fromwhereistand Rückblick.

Nach meiner ersten Woche unterwegs hatte ich ein erstes Resümee geschrieben. Als ich es schrieb, ebbte das High meines Trips zur Kurischen Nehrung noch in mir nach. Ich war erfüllt von dem Gefühl der Macht über mich selbst und meinen Erlebenissen. Seitdem hat sich viel verändert. Als Momentaufnahme ist es mir jedoch wichtig, voilá!

 

„Seid gut einer Woche reise ich nun alleine gen Osten. Es stellt sich heraus, dass dieses Abenteuer mir vielmehr über mich selbst offenbart als über die Kultur in dem Land, welches ich gerade bereise. Überaschen tut mich das nicht. Schließlich war das der Plan. Ich wollte unbedingt wissen wo meine Grenzen liegen bevor ich nach Russland einreise. Ich entdecke die Fremde in mir. Es ist eine ziemlich weite, ziemlich atemberaubende Landschaft (metaphorisch und tatsächlich) und ich bin regelmäßig high von dem Gefühl der absoluten Selbstbestimmung. Mir wird bewusst, dass ich dieses Gefühl gerade zum ersten Mal erlebe.

 

Neues Körpergefühl

Ich spüre Muskeln, die ich noch nie zuvor gespürt habe. Es ist kein schmerzhafter Muskelkater von Überforderung, eher das spürbare langsame Wachsen der Fasern bei dauerhaft steigender Forderung. Meine Haltung ändert sich. Ich stehe aufrechter, laufe mit weiteren Schritten und fühle mich größer. Mein Körper wird zu einem Werkzeug, das zu meiner Verfügung steht. Die Erschöpfung tritt viel später ein als erwartet. Ich bin viel präsenter und sehe mit Stolz meinen wachsenden Beinmuskeln zu. Meine Körperästhetik passt sich meinem neuen Ziel an.

 

Selbstwertgefühl

Nach nur einer Woche unterwegs habe ich bereits einige schwerwiegende Fehler gemacht. Ich habe Züge verpasst, mich überschätzt, alle meine Unterlagen verloren und dubiose Fahrkarten im Internet gekauft. Die daraus entstehenden Probleme waren ziemlich ernst und gingen weit über meinen Kopf. Probleme, die ich nicht alleine lösen kann, stellen eine Komplikation dar. Nur weil etwas kompliziert ist, heißt das noch lange nicht, dass es unmöglich ist. Die Gewissheit, dass ich was auch immer da komme, bewältigen kann, ist ziemlich berauschend.

 

Auftreten

Eine allein reisende Frau ist nirgendwo Normalität. Es ist überall kommentiert worden. Von mutig bis wahnwitzig wurde ich bereits alles genannt. Wenn ich mich bedroht fühle (fast nie) laufe ich entschiedener, meine Schritte werden größer, aber nicht schneller und ich atme langsamer. Am häufigsten tritt man mir jedoch mit völligem Unverständnis oder mit Beschützerinstinkt entgegen. Zwischen Alien und Baby fühle ich mich gleichermaßen unwohl. Meine Gegenüber wissen das oft nicht einzuordnen und meistens verabschiede ich mich dann mit einem freundlich und etwas hilflosen Lächeln.

 

Planungsansatz (ein paar zentrale Erkenntnisse)

Bei der Planung einer solchen Reise geht es nicht um mein eigenes Sicherheitsbedürfnis, sondern darum demjenigen, den ich besuche, genug Zeit einzuräumen, sich darauf einzulassen. Eine Woche im Voraus ist dabei das Minimum.“

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POLEN

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Hochhaus in Swinouscjie

Mein Besuch in Polen hat starke Eindrücke hinterlassen und wenn ihr mir auf Instagram folgt, habt ihr dieses Bild schon mal gesehen... Es ist ein ganz normales Hochhaus in Swinouscje. Ich war beeindruckt von seinem freundlichen Äußeren und der Sorgfalt, die die Bewohner mit ihm walten ließen. Es steht in krassem Gegensatz zu dem, wie diese Häuser in Deutschland aussehen. Für mich zeigt dieses Bild, welche Art von Lektionen ich gelernt habe, seit ich Deutschland verlassen habe. Sie sind klein und zumeist belanglos, aber sie sammeln sich an.

Hier sind einige Beispiele...

E&P (das Paar, das ich besuchte) wussten genau, wo ihr Platz in der Gesellschaft war, was sie wollten und wohin sie gingen, ganz anders als ich. Jede Entscheidung, die ich in den letzten 10 Jahren getroffen habe, haben sie anders getroffen. "Anders" ist das einzige Wort, an das ich denken kann, um die beiden zu beschreiben, ohne ein Urteil zu implizieren. Gleichzeitig ist "anders" ein so unspezifisches Wort, um jemanden zu beschreiben, weil es nur in Bezug auf etwas anderes etwas bedeutet. Ich werde versuchen, spezifischer zu sein, ohne zu viel aus dem Nähkästchen zu plaudern:

Ihre Reaktion auf Widerstand ist, ihren Boden (mit großer Anstrengung und Demut) zu bewahren und konsequent ihrem Ziel entgegen zu arbeiten. Das Ziel ist eine Familie, ein Ort zum Leben, vielleicht ein Haus. Ihr Weg zu diesem Ziel ist ein Beruf, ein Job, und liegt in den Konflikten mit jeder ihrer Familien und ihrem Glauben. Familie ist Erfüllung. Vor allem ihr Umgang mit dem Glauben beeindruckte mich. Meine Reaktion auf Vorschriften und von außen definierte Begriffe von Gut und Böse ist unmittelbare Opposition. Meine Nackenhaare stellen sich auf und mein Zeigefinger wandert an meine Stirn. So ein Unsinn! (Wagt es nicht, irgendwelche Versuche zu unternehmen, mein Leben zu regulieren und seid froh, wenn ich überhaupt in eure Kirchen komme.) Ich gebe nur so viel "Gutes", wie ich kann oder will und das ist total in Ordnung für mich. Das "Gute" wird von mir definiert. Es muss freiwillig, ungebeten und von Herzen kommen. Für mich hat das mehr mit Menschlichkeit und Gemeinschaft zu tun als mit Religion. Diese Gedanken würden den beiden niemals kommen. Trotz meiner Einstellung bin ich sehr beeindruckt von der Tatsache, dass jemand diese altmodischen Regeln befolgt und in der Konsequenz einen Balanceakt vollführt. Die beiden setzen sich ernsthaft mit diesen Regeln auseinander, bis sie deren Kern erreichen und sie lebenswert machen.

E&P nahmen mich mit zu einem Gottesdienst in ihrer Kirche. Zu meiner Überraschung war es wunderbar. (Ich war gewarnt worden, dass Messen in Polen außergewöhnlich lang sind.) Trotz meiner evangelischen Erziehung und Vertrautheit mit dem katholischen Glauben (ich besuchte eine katholische Schule), war die Erfahrung in diesem Gottesdienst etwas Besonderes. Der Glaube in Polen wird ernster genommen und mehr Menschen nehmen die Mühe auf sich zu kommen. (Eine so volle Kirche sieht man bei uns nur an Weihnachten.) Fast alle kamen in Sonntagskleidung und sahen sehr hübsch aus. Die Intensität der Gemeinde an diesem Tag war fühlbar und es half, dass der Priester ein phänomenaler Entertainer war. Eine wirklich schöne Erfahrung.

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EINFACH IRGENDWO.

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Eine fliegende Möwe vor Wolken.

Je vais bien, ne t’en fais pas. Der französische Film aus dem Jahr 2006 hat einen sehr schönen und einprägsamen Titelsong (der auch im Trailer gespielt wird). Auf IMDB bekommt der Film trotz der jungen Mélanie Laurant (Inglourious Basterds) nur 7,4 Punkte. Ich sah ihn zum ersten und einzigen Mal am Abend vor meiner ersten Rucksackreise nach Spanien. Mit meiner damaligen Mitbewohnerin sollte es ein entspannter, billiger und naturreicher Urlaub werden. Sie war bereits weiter und planloser gereist als ich. Mit Rucksack, Zelt und Studentenbudget ging es los. Nach einigen Tagen des relativ sorglosen Unterwegsseins nahmen wir einen kleinen Zug, der bis zur Küste fuhr, um später einfach, wo es uns gefiel, auszusteigen. Wir entschieden uns für einen eingleisigen Bahnhof mit Betonhäuschen im Wald. Mit viel zu schweren Rucksäcken standen wir also dort, bereit für das nächste Abenteuer. Der Wald stellte sich als klein heraus und der Weg zur Küste bestimmt nicht länger als 30 Minuten. Die Klippen fielen 40 Meter in die Tiefe und oben war eine schmale Straße mit ein paar Häusern. Am Strand zu schlafen (Plan A) schlugen wir uns schnell aus dem Kopf, da der Strand schmal war und wir nicht ausschließen konnten, dass Ebbe und Flut uns in der Nacht überraschen würden.

Wenn man mit schwerem Gepäck läuft und nicht weiß, wie lange das noch geht, dann ist jeder Meter ein Meter zu viel. Wir liefen also die schmale Straße entlang in Richtung einiger Campingplätze. Nach 5 Kilometern stellte sich heraus, dass der entsprechende Campingplatz voll war, der nächste sei jedoch nur 5 Kilometer entfernt und dort gäbe es direkt drei! Wir würden bestimmt fündig werden.

5 Kilometer später waren auch diese drei Plätze voll. Es war Hauptsaison. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits in panische Angst verfallen, im Hochsommer unter freiem Himmel schlafen zu müssen. Ich bin müde ziemlich unerträglich, kombiniert mit Angst, Erschöpfung, Hunger und langsam steigender Panik kann es nur auf H.'s Gleichmütigkeit zurückzuführen sein, dass wir noch miteinander sprechen. Sie hatte in weiser Voraussicht darauf gepocht, dass wir etwas zu essen und einen billigen Rotwein im Rucksack hatten und so liefen wir weiter. In meinem jugendlichen Leichtsinn konnte ich mir nicht vorstellen, dass man in Spanien wild campen darf. (Darf man.) Die Vorstellung „einfach irgendwo“ zu schlafen – unvorstellbar.

Wir liefen die schmale, fußweglose Landstraße entlang vorbei an einer Kirche, einem Wald und einem Friedhof. Noch heute erinnere ich mich genau an die Geräusche dieser Nacht. Das Rauschen des Meeres, der Bäume, das Schlagen der Wellen, die entfernten Geräusche von Menschen und das einzelne an uns vorbeifahrende Auto. Rechts und links war es dunkel. Auf der einen Seite war Wald und auf der anderen fiel das Land ins Meer. Ob die Klippen so hoch waren wie an dem Ort, an dem wir aus dem Zug gestiegen waren oder lediglich sanft im Meer verliefen blieb unserer Fantasie überlassen. Die Dunkelheit war absolut.

Nachdem H. aufopferungsvoll bei verschiedenen Hotels anklopfte und versuchte ein Zimmer unter 25€ zu bekommen (HA! Jung und naiv), wir von zwei weiteren Stränden abstand nahmen, als wir Wachhunde hörten (oder waren sie nur auf ihrem abendlichen Rundgang?) und dem Weg entlang einer sehr langen Mauer wieder aus dem Dorf heraus folgten, waren wir mit unserem Latein am Ende. In der Ferne hatten wir Wohnmobile gesehen und beschlossen mal zu fragen, ob wir uns dazu legen können. Beim Näherkommen hörte ich bereits eine mir vertraute Musik. Mein Herz schwoll an und ich lief schneller als ich sie erkannt hatte: es war die Titelmusik von Je vais bien, ne t’en fais pas. H. war etwas erstaunt über meinen Stimmungsumschwung aber folgte mir Kopfschüttelnd. In dieser Nacht schliefen wir am Straßenrand, neben den beiden Campern von zwei französischen Familien. Noch nie hat ein billiger Rotwein so lecker geschmeckt. Schlechte Menschen schauen keine guten Filme vor ihrem Campingvan.

 

Einfach irgendwo ist manchmal genau da, wo man sein muss damit der Groschen fällt.

 

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WARUM ALLEINE?

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Schuhe auf Holzfußboden

Für meinen Vater ist bei dieser ganzen Sache nur eines unbegreiflich: warum alleine? Ihm wäre es so viel lieber, wenn ich - am besten mit festem Partner - losziehen würde, wenn ich schon losziehen muss.

 

Meine bisherigen Erfahrungen mit dem Alleinreisen waren sehr positiv. Es ist unglaublich aufregend und befreiend. Frei (tatsächlich und absolut) fühle ich mich nur dann, wenn ich auf mich gestellt bin. Bei Touren mit einer oder mehreren Personen gibt es immer jemanden, auf dessen Sicherheitsbedürfnis und Vorstelllungen Rücksicht genommen werden muss. Das ist auch prinzipiell nicht nur schlecht, im Gegenteil. Manchmal ist genau das sogar sehr schön - schließlich ist alles schöner, wenn man jemanden hat, mit dem man sich daran erinnern kann. Ich habe nicht vor, wie ein Einsiedler zu reisen. Ich möchte spontanen Chancen Raum bieten und falls ich wider Erwarten in Helsinki auf eine Band stoße, die durch Finnland tourt, mich in ihrem Bus mitfahren lässt, im Austausch für Tourbilder, dann möchte ich das machen, auch wenn die Band keinen Platz für meinen Reisegefährten hat. Rein hypothetisch...

 

Mich interessiert, wie ich mit der Einsamkeit umgehe, der man auf so einer Reise ausgesetzt ist. Schließlich ist die ein wenig intensiver und länger als alles, was ich gewöhnt bin, fremdbestimmter. Ich möchte wissen, was ich zum Leben brauche, wenn ich nur meine eigenen Bedürfnisse und Ansprüche erfüllen muss. Das werde ich nie herausfinden, wenn es jemanden gibt, der mir Steine aus dem Weg räumen kann.

 

Zum Ausgleich soll dieser Blog dienen, praktisch eine Verbindung zu Deutschland und der Welt. Ich hoffe, dass ich über die Kommentare in einen Austausch mit Freunden, Bekannten und Unbekannten treten kann; dass ich einigen Ängstlichen zeigen kann, dass die Welt einen nicht immer bitter enttäuscht; dass das Abenteuer manchmal zu Begegnungen führt, die einen wie Watte aus dem freien Fall auffangen.

 

Darum alleine.

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