Leo hat mir unter meinem Post „Ein Rückblick in Kurzform“ eine schöne Frage gestellt: „Was war eine Begegnung, an die du immer noch sehr gerne zurückdenkst?“ Die Antwort ist ellenlang. Los geht’s...
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Auf meiner Reise habe ich sehr viele Menschen kennengelernt. Diese Begegnungen sind häufig der Grund, warum ich doch immer weiter gereist bin. In Momenten der Panik und der Verzweiflung haben diese mir geholfen zu meinem Verstand zu finden. Ich denke mit sehr viel Wehmut an sie zurück, da ich mir sicher bin, einige dieser Menschen nie wieder zu treffen. Die Erinnerungen an jene Begegnungen sind so bitter wie süß.
Hier auf dem Blog reflektiere ich vor allem mich selbst, da die Menschen denen ich begegne nicht zustimmen können, ob und wie sie von mir dargestellt werden möchten. Häufig sind die Menschen die mir unterwegs geholfen haben misstrauisch gegenüber dem Internet und ich kann es ihnen nicht verübeln. Von vielen habe ich trotzdem erzählt, weil sie eine wichtige Rolle auf meinem Weg gespielt haben. Jedoch verfasse ich diese Texte immer im Bewusstsein, dass meine Beschreibungen mehr über mich selbst preisgeben als über den Menschen von dem ich erzähle. Sie sind so sehr Teil meines Narrativs geworden, dass ich mir manchmal nicht sicher bin, ob die einzelnen Menschen tatsächlich so sind, wie ich mich erinnere oder ob sie auch in meiner Erinnerung zu Charakteren geworden sind.
De facto sind die Menschen, denen ich begegne das, was meine Reise einmalig macht. Häufig wünschte ich, ich hätte mein Aufnahmegerät 24/7 an mir, damit ich die Worte, die wir austauschen nicht vergesse und damit die Erinnerung nicht meine Begegnungen modifizieren.
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Hier sind ein paar Begegnungen von meiner Reise, an die ich noch immer gerne zurück denke.
BEGEGNUNGEN
MIT MENSCHEN DIE ICH BESUCHT HABE
Am Anfang meiner Reise habe ich viele Unterkünfte über AirBnB gebucht. Ich hatte einige wirklich nette Gastgeberinnen. Vor allem in Helsinki und Riga hatte ich horizonterweiternde Gespräche mit Frauen, die älter waren als ich. In meinem Alltag bin ich gefangen in meiner Altersgruppe, umgeben von Menschen, die die großen Entscheidungen ihres Lebens noch nicht getroffen haben und mit meinen Grübeleien wenig anfangen können. Menschen, die ihre Entscheidungen mit einem Partner treffen, gehen ganz anders an das Leben heran als jemand der für sich alleine entscheidet.
Meine Gastgeberin in Riga war eine Geschäftsfrau, die jung erfolgreich wurde und später große Rückschläge erlitten hat. Woran ich mich bei ihr besonders erinnere ist ihr Teeregal und das Wissen genau die richtige Kombination von Kräutertees für mich zu mischen. Damals dachte ich: das würde ich gerne können. Jetzt lese ich Bücher über Kräuter, bis ich eines Tages mein eigenes Teeregal bestücken kann.
Meine Gastgeberin in Helsinki war eine alleinerziehende Mutter zweier Töchter mit bewegter Vergangenheit, einem Migrationshintergrund und einem Beruf als Kulturschaffende. Die Art wie sie ihren Töchtern begegnete hat mich beeindruckt. Die Mädels sind dreisprachig aufgewachsen und formulieren ihre Ideen und Vorstellungen klarer als ich es jemals konnte. Sie werden ernst genommen und entscheiden schon sehr früh für sich selbst.
Auf der Krim habe ich zwei Gruppen von jungen Russen unterrichtet. Als ich weiterzog haben sie mir eine ganze Reihe von kleinen Nachrichten und Briefchen gegeben. Was im Unterricht eine einfache Übung zum Freunde machen war, wurde mir zum sicheren Zufluchtsort. Ich bewahre sie auch heute noch in der Rückentasche meines Notizbuches auf. Wenn ich sie brauche, kann ich sie herausziehen. Sie sind ein nachsichtiger Stupser zu einer freundlicheren Stimmung gegenüber meiner Schwächen.
Ich denke auch heute noch gerne an meinen nächtlichen Besuch im Studio einer Hochzeitsfotografin, wo ich mit zwei riesigen Perserkatzen einen Thron besteigen durfte.
Oder als ich zwei Nächte, ebenfalls in Teheran, im Gästezimmer eines Pärchens schlafen durfte, dessen Wohnung absolut westlich eingerichtet war. Sie liebten dieselben Filme, die auch mich geprägt haben, ihre Wand tapeziert mit Screenshots. Ich war so tief erschüttert an diesem Moment meiner Reise, dass diese zwei Nächte in Vertrautheit mir viel Kraft gegeben haben.
Somi und Hani waren meine ersten Kontakte im Iran und sie haben mich einfach mitgenommen in ihrem Leben, ohne mich zu erschlagen mit Aktivitäten und Verpflichtungen. Ich durfte einfach in ihrem Wohnzimmer sitzen und zusehen wie die Familie ein- und aus geht. Ich durfte zusehen und lernen, wie sich das iranische Leben anfühlt. Meine Zeit mit ihnen hat das Fundament meines Verständnisses für den Iran gelegt. Ohne sie weiß ich nicht, wie ich das angegangen hätte.
Matti, der erste Iraner mit dem ich ein Wort gewechselt habe, sehe ich noch zweimal wieder. Auch heute sind wir noch in Kontakt. Zusammen haben wir eine schwierige Begegnung navigiert, die es so in diesem Land nicht geben sollte. Er ist der Quell der härtesten Wahrheiten, denen ich ins Auge schauen musste, hat Fragen beantwortet und gestellt. Ein toller Austausch und das, was ich in kulturellen Begegnungen suche.
Und dann natürlich meine Gastfamilien in Vantaa (Finnland) und Samara (Russland). Ich denke häufig sehnsüchtig an meine Zeit mit ihnen zurück und freue mich auf das Ende meiner Reise, wenn ich Besuche planen kann.
MIT ANDEREN REISENDEN
Die Fahrt von Tiflis nach Borjomi mit einer Freundin von einer Freundin in ihrem alten Jeep war wunderbar. Älter als ich, bestreitet auch sie ihr Leben auf eigenen Füßen, weit ab von dem einen Narrativ, welches ich von zu Hause kenne. Sie wandelt einher zwischen Georgien und Berlin, nimmt das Beste aus beiden Welten.
Jonathan begleitete mich für zwei Wochen durch den Iran, als ich psychisch total am Ende war. Er ist ohne Geld von Paris bis nach Bangkok gereist und zeigte mir, was das bedeutet. Ein Zauberer und Lebenskünstler wie ich, nur eben ganz anders.
Margerita, Michael und Manoli in Shiraz waren Frühstückbekanntschaften. Margerita ist Künstlerin in Berlin und macht Performancekunst überall auf der Welt. Michael radelt um die Welt und Manoli reist 6 Monate des Jahres, um die Welt zu entdecken. Alles drei ganz unterschiedliche Lebensrealitäten, die meine ungemein bereichert haben.
Meine Zeiten in Tibet, China und Laos mit Leo und Sebastian vom Eins2frei-Blog, natürlich!
MIT DER HEIMAT IN DER FREMDE
Auf meiner Reise habe ich zwei alleinreisende junge Frauen aus meiner Heimatstadt Halle getroffen. Die Stadt ist nicht groß. Zu Hause wäre ich keiner der beiden jemals begegnet. Denn obwohl wir gemeinsame Bekannte hatten, haben wir noch nie voneinander gehört. M. in Samara (Russland) treffe ich bei einem deutschen Stammtisch. Sie ist ein paar Jahre älter als ich und arbeitet beim Geothe-Institut. M. dagegen ist so alt wie ich. Sie treffe ich im Hostel in Bangkok. Als ich Wochen nach unserem Treffen ein Foto von ihr am Hauptbahnhof zuhause sehe, fallen mir die Augen aus dem Kopf. Von dort aus bin ich losgefahren.
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Und das sind nur die, die mir diese Woche eingefallen sind. Über einige andere habe ich in der Vergangenheit schon geschrieben, an andere erinnere ich mich, sobald der Post veröffentlicht ist. Beim Reisen sind die Begegnungen das Gold, das mich in die Ferne zieht. Es gibt keine Begegnung auf die ich nicht gerne zurück blicke, denn auch wenn sie nicht besonders schön waren, waren sie doch immer lehrreich.
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