Das Trampen ist ein leichtes und abenteuerliches Unterfangen. Wir machen weiter mit den in Alamut bereits angetesteten Geschichten, jedoch kann ich das Gefühl andere Menschen auszunutzen nicht ganz vermeiden. Dabei geht es nicht um finanzielles Ausnutzen, sondern darum, dass man Menschen hier, damit sie einem helfen, bestimmte Narrative geben muss. Zunächst weiß man im Iran nicht was Trampen ist, noch kennt man irgendjemanden, der um die Welt reist. Reisen ist immer gleich Ferien und Tourismus. In ihren Köpfen müssen wir unendlich reich sein, damit wir uns das leisten können. Als Pärchen mag das alles noch gehen, aber alleine ist es unvorstellbar. Vor allem als Frau. Für Männer ist es jedoch ebenfalls gegen die Natur. Müssen sie nicht endlich mal ans heiraten denken? Denn nur wer heiratet darf sexuell aktiv sein, ein Dilemma, das die Jungen in die Ehe treibt. Die Wahrheit ist demnach keine Option.
Beim Trampen kommen wir in direkten Kontakt mit der Dorfbevölkerung. Wir übernachten in Orten in denen es außergewöhnlich ist, nicht seine Cousine zu heiraten. Sobald man hier beginnt zu erklären, dass wir als Freunde gemeinsam reisen, das nur weil Männlein und Weiblein nebeneinander im Auto sitzen, es nicht heißt, dass man übereinander herfällt, ist hier schlichtweg unvorstellbar. Wenn man nicht in die Städte auf die Universität geht, bleibt man gefangen im ewigen Zyklus der Familie. Unsere Gastgeber finden es schwer, uns gehen zu lassen. Sie sind sehr besorgt um uns. Wir können uns zwischen Dankbarkeit und Abenteuerlust dieser, unserem Empfinden nach übertriebenen Fürsorge, nur schwer entziehen. Niemand glaubt uns, dass wir so reisen können wie wir es tun. Auch J.s Erzählung, dass er so von Paris bis hierher gekommen ist, stößt auf ungläubiges Kopfschütteln.
Viele derjenigen, die uns mitnehmen oder uns zu sich nach Hause einladen, erhoffen sich einen dauerhaften Kontakt ins Ausland. Wir wissen, dass das nicht möglich ist. Denn um so einen Kontakt aufrecht zu erhalten, müssen beide Seiten ein Interesse daran haben. Letztendlich geht es um Visa und Einladungsbriefe. Die Menschen hier erhoffen sich nicht selten Hilfe in ihren Bemühungen aus diesem Land auszubrechen. Jedoch geht das nicht. Man glaubt hier für eine Nacht auf dem Fußboden mehr Chancen bei der Einreise zu bekommen. Das funktioniert nicht. Ich bin gerne bereit, mein Sofa zum Übernachten zu vergeben, aber für einen anderen Menschen vor meinem Staat zu bürgen, den ich einmal in meinem Leben getroffen habe, ist unvorstellbar. Ich denke, hier liegt der Kern meines „Bauchgrummelns“.
Die Landschaft die in diesen Tagen an uns vorbeizieht sieht aus wie aus einem Starwarsfilm. Rechts und links türmen sich die sandigen Bergketten empor und die ersten Palmen zieren den Straßenrand. Die Temperatur steigt stetig an. Wir sehen wenig Landwirtschaft, aber viele kleine Ziegen- und Schafherden. Nach einigen kurzen Trampversuchen haben wir Glück und steigen in ein Auto, das uns bis nach Banda Abbas bringt.
Am frühen Nachmittag kommen wir an, steigen aus und werden fast sofort angesprochen. Was wir zunächst als einen Verkaufsversuch interpretieren, stellt sich als freundliche Hilfestellung heraus. Er bringt uns zu einem Campingpark und sagt, dass wir hier problemlos schlafen können. Wir bleiben also am Stadtrand, nicht sicher, ob wir direkt am Meer in Frieden ruhen könnten. Der Campingplatz ist eine Betonwüste mit regelmäßig versetzen Betonplateaus auf denen die Zelte stehen sollen. Unsere Nachbarn sind zwei alte Männer die uns nach kurzer Zeit zum Tee einladen. Sie haben wenig, scheinen aber erfreut zu sein, uns zu treffen. Weniger uns, als J. Sie erzählen ihm voller Stolz, dass sie schwul sind. Einer trägt einen Eheringe zum Schutz vor den Anderen, wie ich. Sie erzählen Geschichten aus ihrem Leben, die nicht ganz wahr sind, so wie wir. Sie suchen Kontakt und doch keinen, so wie wir. Eine Begegnung, die mich traurig macht. Wie grausam diese Gesellschaft ist, grausam zu Menschen die anders sind, zu deren Familien, zu sich selbst.
Außer den beiden älteren Herren treffen wir auch eine Gruppe von Jugendlichen mit denen wir ein paar vergnügliche Stunden verbringen. Dieser Park scheint ein Rückzugsort für die Anderen zu sein. Eine Lücke im eng gestrickten System der familiären Überwachung. Die Mädels in der Gruppe riskieren ihren Ruf, die Jungens müssen diesen Ruf beschützen. Wenn sie es nicht tun, sind sie keine „guten Jungens“. Gut und schlecht begegnet mir hier ständig. Als wäre es einfach.
Am nächsten Tag schlagen wir uns in die Stadt, kaufen schweren Gemüts ein Flugticket nach Mumbai für J. und ein Ticket für das Boot nach Dubai für mich. Wir haben eine Deadline und füllen den Rest unserer Zeit mit dem Inselleben aus.
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