Unverrichteter Dinge kehre ich aus Teheran nach Isfahan zurück. Kaum dort, steigen wir in der Dunkelheit in einen Minibus, der uns in den Süden des Landes bringen soll. Sobald das Dach beladen ist, die Rucksäcke festgeschnürt und alle Mann an Bord sind, werden die Vorhänge geschlossen, die Musik aufgedreht und das Fest beginnt. Nacheinander stehen die Anderen von ihren Sitzen auf und tanzen auf dem schmalen Gang während der Bus mit hundert Sachen durch die Nacht braust. Ich schaffe es nur mit Schwierigkeiten, den Tanzaufforderungen auszuweichen. Mir ist das Tanzen im Iran unangenehm. Auch hier möchte ich am liebsten fliehen. Am Ende gibt es nur eine Möglichkeit. Ich schließe die Augen und ziehe mich zurück in meinen eigenen Kopf. Dort ist es friedlich, weit ab von schlechten Witzen und übergriffigen Persönlichkeiten. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits jegliche Toleranz und den sonst immer spürbaren Wunsch, kulturellen Begegnungen offen entgegenzutreten, verloren. In mir ist etwas gestorben und ich schaffe es nicht, meine angeborene Neugierde für fremde Menschen und andere Kulturen wachzuhalten.
Irgendwann am nächsten Tag kommen wir an. Als erstes gehen wir einkaufen, dann geht es an den Strand zum Meer. Wir werden auf Felsen schlafen und drei Meter über dem Meer, direkt an der Kante liegen. Das Wasser ist türkis und die Wellen schwappen friedlich gegen den weißen Stein, hinter uns ragen sandige Bergketten empor. Wir stellen unsere Zelte in einer Reihe auf und machen es uns gemütlich. Erst als wir ins Wasser springen, und man mir eine Rettungsweste aufzwängen will, verliere ich ein wenig die Contenance. Ich hatte schon häufiger gesagt, dass ich schwimmen kann. Doch das glaubt mir hier niemand. Als ich sehe, dass alle mit Schwimmweste ins kühle Nass springen und danach hilflos mit den Händen paddeln, beginne ich langsam zu verstehen. Das hier sind Wüsteniraner. Sie können nicht schwimmen. Ich kann ein Auflachen nicht unterdrücken. Welcher Europäer würde ohne schwimmen zu können ins Meer springen? Allerdings ist es hier unmöglich, diesen Sport als Frau auszuüben. Es schwingt ein gewisser Trotz und ein Übermut mit, wenn die Iraner sich ins Wasser werfen. Neben meiner Belustigung bin ich auch beeindruckt, denn sie springen in voller Bekleidung ins Wasser. Langärmeliges Oberteil, Hose, Socken und Schuhe? Nun verstehe ich, woher die Besorgnis kommt und beschließe, alle weiteren Vorschläge von iranischer Seite abzulehnen. Ich bin mein eigener Mensch und die einzige Frau der Truppe, die Schwimmabzeichen hat. (Drei Männer schwimmen ebenfalls sehr gut.) Mit Kopfsprung stoße ich mich die drei Meter vom Felsen ins Wasser. Hier hab ich die Nase vorn. Ein lange vermisstes Gefühl.
Abends wird Feuer gemacht, selbst gefangener Fisch gegrillt und bei Sonnenuntergang musiziert. Es gibt genug iranische Schlager, die man in der Nacht am Feuer schmettert. Man spürt deutlich, wie meine Mitreisenden es genießen, nicht beobachtet zu werden, frei zu sein, tun und lassen zu können, was sie wollen. So macht der Iran Freude, so wird seine Schönheit voll sichtbar. So muss es einmal gewesen sein vor langer Zeit. Ich frage mich häufig, wie lange das noch weiter gehen wird. Ich würde das keine Sekunde länger aushalten. Die Repression, die Bevormundung, die Lügen und der Druck sind für mich unerträglich. Der Iran ist eines der schönsten und vielfältigsten Länder die ich auf meiner bisherigen Reise entdecke, aber die politische und die gesellschaftliche Situation zerstört für mich alles.
Hier an der Küste, weitab von der Zivilisation, kann ich all das vergessen. Für einige Stunden fühle ich mich wie in Europa. Jedoch werde ich jedes mal daran erinnert, dass ich im Iran bin, wenn ich einer der anderen Frauen begegne. Zwar trägt keine von ihnen einen Hijab, aber alle sehen aus wie frisch aus dem Ei gepellt, auch nach drei Tagen ohne Süßwasserdusche. Ich weiß nicht, was sie mit ihren Haaren machen, aber während meine lockig und fusselig werden, sich in dicken Strähnen zusammenfinden, fallen ihr Haare locker über die Schulter, sind in aufwändigen Zopfflechten gebunden und lassen nicht erahnen, dass sie eine, geschweige denn drei Nächte im Zelt verbracht haben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich beeindruckt bin oder sie auslache... Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Aber auch diesen Kontrast beginne ich im Laufe der Zeit zu genießen. Denn obwohl wir alle in der Nähe voneinander schlafen, verbringen wir die Tage weitgehend getrennt. Je nach Gutdünken. So komme ich doch noch zu meiner Einsamkeit, meiner Auszeit und meiner Entspannung. Die vier Tage waren wie ein Auftauchen aus dem Wasser, ein kurzer Moment des Luftholens.
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