Isfahan ist mit Recht eine der Hauptattraktionen des Iran und für mich wichtig, nicht wegen der tollen Paläste, der spannenden Feuertempel und der großen Moscheen, sondern weil ich hier M. & M. kennengelernt habe. Sie nehmen mich auf und bieten mir ein Zimmer und einen Schlafplatz im Austausch für Englisches Sprachtraining. Sie sind ganz anders als alle anderen Iraner, die ich bisher kennengelernt habe. Sie stehen voll im Leben und versuchen den Regeln ihres Landes nach zu leben. Sie sind nicht tief gläubig, aber doch gläubig.
Bei ihnen werde ich mit Islamischer Propaganda konfrontiert, was zu einigen roten Köpfen, weit aufgerissenen Augen und Lachkrämpfen bei mir führt. Ich bin aufrichtig schockiert. Hier werde ich gefragt, ob ich an den Holocaust glaube. Viele Sachen im Iran werden zu Glaubensfragen gemacht. Meine entrüstete Antwort, meine detaillierten Beschreibungen eines Konzentrationslagers und der Versuch zu erklären, was ein Fakt ist, hängen zunächst in der Luft. Als Verteidigung der Iranischen Geschichtsschreibung werden Experten zitiert und Dokumentarfilme nacherzählt. Zum Glück habe ich den Großteil meiner Schulzeit damit verbracht, den Holocaust zu verstehen, so dass ich mit Leichtigkeit die Form und Größe der Öfen beschreiben und zu ähnlichen Details Stellung beziehen kann. Als Fox News ein CIA Dokument veröffentlicht, welches belegt, dass die USA dachte, dass Hitler möglicherweise nach Südamerika flüchten könnte, bekomme ich die Chance zu erklären, wie ich verifiziere, ob Zeitungen die Wahrheit schreiben. Denn in den Iranischen Zeitungen steht, dass das Dokument belegt, dass Hitler tatsächlich geflohen wäre und deswegen bestimmt noch lebt. Ich erkläre, was eine freie Presse ist, wie man sie verifiziert, was eine Primärquelle ist und wie man sie findet. Der Hass gegen Israel ist hier groß und wird eifrig geschürt. Isfahan ist nicht der einzige Ort im Iran, wo mir als Deutsche zum Deutschsein gratuliert wird, aber hier habe ich zum ersten mal Gesprächspartner, die im Vertrauen mit mir reden. Ich kann also nachfragen, was dahinter steckt. Für beide Seiten ist dieser Austausch anstrengend, spannend und horizonterweiternd. Es ist genau das, was ich gesucht habe.
M. ist eine Göttin in der Küche. Sie beherrscht die traditionell Iranischen Gerichte wie ein Profi. Dabei sind sie häufig so sauer, dass ich ein Zusammenkneifen der Augen kaum unterdrücken kann. Immer erklärt sie mir die Namen und Zutaten, aber mir kommen sie nur schwer über die Lippen. Farsi macht mir einen Knoten in die Zunge. Zum Glück kann man im Iran mit einem Mix von anderssprachigen Worten gut überleben. Wörter wie „Salam“ (Arabisch) und „Merci“ (Französisch) ermöglichen einen minimal höflichen Umgang mit den Einheimischen. Sollte ich einmal wiederkommen, werde ich mehr von der Sprache schon im Vorhinein lernen (und einen Mann im Gepäck haben, ein hier unabdingbares Accessoire, leider.)
Isfahan ist eine Schatztruhe von Deckenmalereien, die mich staunen lassen. Aus einem der Paläste komme ich mit der festen Überzeugung heraus, dass ich mir auch einmal im Leben so eine Raumdecke gestalten werde. Die Blumen und Rankenmuster sind wunderschön, symmetrisch, jedoch immer wieder aufgebrochen. Die Symmetrie ist versteckt hinter einer Millionen verschiedener Formen. Jedoch sind die Paläste in der Regel nicht überdekoriert. Das Geheimnis ist, dass sie nicht von oben bis unten kleinteilig verziert sind. In einigen Räumen sind die Wände weiß und nur die Decken bunt, in anderen werden die Muster von Farbflächen oder größeren Mustern abgelöst. Es ist ein Tanz, ein Balanceakt. Wieder einmal eine Erkenntnis, dass die wahre Kunst des Lebens darin besteht, ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen.
In Isfahan finde ich neben einem sicheren Ort zu schlafen, auch einen sicheren Ort zu arbeiten. Hier buche ich mich in den ersten Co-working space meines Lebens ein. Meine Millionen von Fotos werden innerhalb eines Arbeitstages in meine Dropbox geladen und Skype funktioniert gut. Dieser Ort scheint auf den ersten Blick seinen westlichen Vorbildern sehr ähnlich zu sein. Jedoch sind auch hier die Regeln wieder verwirrend. Obwohl ich mit einem Händedruck vom Leiter empfangen wurde (was mich überraschte, da ich ja nicht nur Frau, sondern auch nicht Muslimin bin und ergo unrein), bricht schallendes Gelächter aus, als ich einem mir vorgestellten Mitglied (männlich) die Hand reiche. Erklären will mir den Unterschied wieder niemand. Irgendwo scheinen sie sich zu schämen, anders kann ich es mir nicht erklären. Für mich ist das das Unhöflichste überhaupt. Wenn jemand etwas nicht versteht, wird es erklärt, damit es beim nächsten Mal besser läuft. Hier sind jedoch viele so sehr mit ihrer Ehre und irgendwelchen Vorstellungen von Überlegenheit belastet, dass Lernen unmöglich erscheint. Es bleibt unverständlich. So ist das ständig hier im Iran. Es frustriert mich.
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