Ich habe Eisschwimmen bereits in meinem Hinterkopf in irgendeiner Ecke verbuddelt. In meiner unmittelbaren Umgebung gibt es keine Finnen, die diesem Sport frönen. Dachte ich zumindest. An einem meiner letzten Wochenenden in diesem bezaubernden Land bekommt R. eine E-Mail mit der Frage, ob wir das nicht mit einer befreundeten Mutter einmal ausprobieren wollen. Sie habe das vor 10 Jahren einmal gemacht, weiß, wo man hingehen muss und hat Lust darauf. Ich bin sofort Feuer und Flamme. R. bekommt weiche Knie. Sie ist eine langsam-ins-Wasser-watende Person und ist sich fast sicher, dass in 0,6 Grad kaltem Wasser zu schwimmen nicht ihrer Vorstellung von Entspannung entspricht. Sie gibt sich einen Ruck und packt alles, was wir zum Eisschwimmen benötigen: Badeanzüge, ein großes und ein kleines Handtuch zum Duschen und in der Sauna draufsitzen, Krocks, Beanies und Limonade. Im Auto wird mir flau im Magen. Ich habe große Töne gespuckt, bin mir so kurz davor dann aber doch nicht mehr sicher. Bin ich denn blöd? Die Finnen spinnen doch sowieso, warum tue ich mir das eigentlich an? Eisschwimmen. Also wirklich!
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Wir fahren durch einen Wald zu einem wunderschön gelegenen Quellsee. Als wir zehn Minuten später auf einem dunklen Parkplatz und umringt von Nadelbäumen mitten im Wald zum stehen kommen, ist mir mein Magen bis in die Knie gerutscht. Verdammt. Da meine beiden Begleiterinnen ähnlich denken, gehen wir zunächst ans Wasser und schauen uns das Ganze angezogen an. Ein stetiger Strom von älteren einzelnen Menschen mit Mützen, Gummischuhen und Badehose oder Badeanzug läuft an uns vorbei ins Wasser, verweilen dort einige Minuten und gehen dann zurück zu den kleinen Holzbauten. Jeder kommentiert unsere verunsicherten Blicke und gibt uns kleine Ermunterungen. Hier sind nur nette Finnen und da alle so freundlich sind, gibt es nach der Begrüßung kein Zurück mehr.
Beim Betreten der Sauna erwartete uns ein Bild, das ich nie vergessen werde. Die oberste Bank ist voll besetzt mit Frauen verschiedenen Alters. Alle tragen ihren Badeanzug. Einige von ihnen haben außerdem Wollmützen und Filzhütchen auf dem Kopf, um wenigstens die Kopftemperatur konstant zu halten. Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass es so etwas in Wirklichkeit gibt. In Windeseile rutschen die Frauen zusammen, so dass auch wir drei gemütlich Platz finden. Die Frauen in der Sauna sind richtige Charaktertypen. Mir wird später berichtet, dass die Gesprächsthemen von der Art, wie die Ehemänner pinkeln, über die beste Sortierung der Küchenutensilien, bis zu der Teilnahme an Eisschwimmwettkämpfen reichen. Schamlos und wunderbar. Ich sehe, wie sich meine Empfindungen auf R.s Gesicht spiegeln. Wir sind in bester Gesellschaft. Die Ankündigung der Dame am Eingang „In der Sauna findest du Freunde“ entspricht nur der Realität. Hier begegnen sich gefärbte Blondinen und übergewichtige Naturfrauen. Gemeinsam verbringen sie ihre Zeit in der Sauna mit vorurteilsfreiem Geplauder. Anders als in Deutschland ist die Sauna hier kein Entspannungstempel, sondern ein soziales Event. Das gilt natürlich nicht für Saunen in Finnland generell. Hier gibt es viele verschiedene Fassetten von Sauna wie es Menschen gibt. Für die Finnen gibt es dabei nur eine Regel: keine Regel.
Der wunderbar weiche und warme Wasserdampf legt sich wie das Wasser in einer heißen Badewanne um uns. Mit jedem Aufguss steigt die gefühlte Temperatur, bis ich nur noch durch den Mund einatmen kann, da meine Nasenschleimhaut brennen. Bald ist die Sauna mit ihren 90 Grad konstant warm. Das Wasser perlt schon lange an meinen Armen hinunter und das kleine quadratische Handtuch, auf dem ich sitze, ist triefend nass. Ich spürte, wie mein Kopf leer und meine Augen schwer werden. Ich musste hier raus.
Die kalte Nachtluft bringt sofort Erleichterung. Im Gänsemarsch schreiten wir drei auf unsicheren Beinen runter zum Eisloch. Das Wasser ist klar, die Eisdecke dick und von Neuschnee bedeckt. Eine Pumpe hält das Wasser in Bewegung und das Loch somit offen. Unsere Vorgänger rufen uns Ermunterungen zu. Es hatte sich in Windeseile auch bis in die Männersauna herumgesprochen, dass hier ein paar Neulinge unterwegs sind. Etwas unbeholfen versuche ich, ein paar Bilder zu schießen. Schließlich werde ich Beweise benötigen, wenn ich meinen Brüdern zeigen will, wie hart ich im Nehmen bin. Meine Technik ist von den Temperaturschwankungen überhaupt nicht begeistert und der Autofokus funktionierte nur jedes dritte Mal. Beim Fotografieren weiß ich schon, dass ich das hier besser beschreibe.
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Der erste Schritt ins eiskalte Wasser ist wie der Schritt in tausend Nadeln. In Windeseile sinke ich in die Kälte und bin bald bis zum Kinn von Wasser umgeben. Einmal untergetaucht ist es das Klügste, sich nicht weiter zu bewegen, denn jede Bewegung fühlte sich an als würde die Haut zerspringen.
Die Kälte ist wie die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. Ich fühle, wie die Wärme aus meiner aufgeheizten Haut verpufft und mein Kopf wieder klar wird. Es braucht nur wenige Sekunden, bis die Kälte anfängt, auf meiner Haut zu brennen. Kurz danach fühle ich meine Beine und Arme nicht mehr, nur noch meine Haut. Langsam stehe ich auf und gehe zurück an Land. Das Herauskommen ist schmerzhaft und ich stehe unsicher auf den Beinen. Da mir jegliches Gefühl in ihnen fehlt, denke ich, sie könnten jeden Moment wegknicken. Als ich jedoch, nur um sicher zu gehen, an mir herunterschaue, sind sie durchgedrückt und stehen bombenfest im Boden. Keine Einsturzgefahr.
Das Gefühl kommt langsam in meine Gliedmaßen zurück. Nur entfernt nehme ich die Kommentare der anderen Eisschwimmer war. Ein Lächeln breitet sich über mein Gesicht, ich kann gar nichts dagegen tun. Es fühlte sich an wie Feuerwerk auf meiner Haut. Als würde jede Pore einzeln aus ihrem Eisgefängnis erwachen, sich langsam ausdehnen und dabei ständig aneinanderstoßen.
Schritt für Schritt und ja nicht zu schnell gehen wir zurück zur Sauna. Wir sind uns einig. Das ist gut. Nochmal. Bis wir zurück im Warmen sind, spüren wir die Kälte deutlich. Das Betreten des halb dunklen Raumes bringt mindestens so viel Erleichterung wie fünf Minuten zuvor, ihn zu verlassen. Wieder umhüllt uns der Wasserdampf, wieder werden wir aufgefangen in einem warmen Kissen aus Luft, wieder werden wir in die Unterhaltung im Raum aufgenommen. Hat es uns gefallen? Würden wir es nochmal machen? Ja und natürlich.
Mit der Wärme kommt das Gefühl zurück in die Finger. Für die längste Zeit weiß ich nicht, ist mir warm oder kalt? An fünf verschiedenen Stellen auf meinen bereits schrumpeligen Händen fühle ich Wärme und Kälte, oft an Stellen direkt nebeneinander. Es dauerte gute zehn Minuten bis meine Augen wieder schwer werden, mein Kopf beginnt zu rauschen und ich muss anfangen, durch den Mund zu atmen. Es ist Zeit für die zweite Runde.
Insgesamt gehe ich viermal zum Eisloch. Jedes Mal dehnt sich mein Körper weiter aus und zieht sich in der Kälte enger zusammen. Langsam lerne ich jede einzelne Phase zu genießen und auszukosten. Bald schaffe ich es mich im kalten Wasser zu bewegen. Das vierte Mal ist es am aller tollsten. Mein Begleitung hat beschlossen, dass sie genug haben und gehen sich bereits anziehen. Ich husche noch ein letztes Mal alleine zum See. Ganz alleine. Ich habe meine Ruhe und kann ganz entspannt die fernen Lichter auf der anderen Seite des Wassers beobachten. Es ist wirklich schön hier. Die winterliche Stille ist beindruckend.
Mit Bedauern stelle ich fest, dass es Zeit ist, aus dem Wasser zu kommen. Langsam stehe ich auf und bewege mich aufs Ufer zu. Ich habe mich inzwischen an das Gefühl gewöhnt, nicht Herr meines Körpers zu sein und erwarte voll Vorfreude das monumentale Feuerwerk auf meiner Haut. Und es kommt. Es ist ein schmerzähnliches Gefühl, das immer sanfter wird, bis es nicht mehr als ein Kribbeln ist. Mit breitem Grinsen gehe ich langsam zurück zu einer letzten Runde in der Sauna. „Wie ein Profi!“ ruft mir der alte Herr entgegen, der mich wohl von weitem gesehen hat. Ja, wie ein Profi.
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Sabine (Wednesday, 01 March 2017 09:05)
Toll geschrieben Bella!! Und ich habe ein déjá vu. Mein allererstes Erlebnis überhaupt in einer Sauna war während eines Studienaustausches in Estland 1978. Wir saßen auch alle dichtgedrängt in einer kleinen Holzhütte und gingen dann bei Mondschein in einen kleinen See zum Abkühlen, traumhaft, allerdings ohne Eis und Schnee. Beim nächsten Mal war ein reißender Fluss die Abkühlung. Man musste aufpassen, nicht weggetrieben zu werden. Mein Gott, das ist fast 40 Jahre her.
Dir weiterhin wunderbare Begegnungen und Erlebnisse, liebe Grüße Sabine
Bella (Wednesday, 01 March 2017 10:34)
OMG! JA! In Estland kann ich mir das ebenfalls sehr gut vorstellen. 1978! Hach die wirklich guten Sachen sind einfach Zeitlos! :-)