DER SPAZIERGANG

English text
Das Sommerhaus meiner Finnen bei Kalajoki, Finnland

Es gab einige Momente an diesem Weihnachten, welche sich für die Ewigkeit in mein Bewusstsein gebrannt haben. Zum einen war es das gefrorene Meer und das wunderschöne Sommerhaus meiner Gastgeber, zum anderen war es ein Spaziergang, den ich am Weihnachtstag mit den Hunden machte.

Schneeeis bei Kalajoki, Finnland

Das gefrorene Meer war eines meiner festen Reisewunschbilder. Schon bevor ich Deutschland verließ erzählte ich Freunden und Bekannten davon, dass ich einmal in meinem Leben gefrorenes Meer sehen möchte. Ich war überzeugt, dass würde in Finnland klappen, ohne dass ich irgend etwas über das Land und die klimatischen Bedingungen wusste. Das Meer in Finnland friert schon das eine oder andere Mal zu, aber sicher ist auch hier oben im Norden gar nichts. Wäre das Meer vor Kalajoki nicht gefroren gewesen, weiß ich nicht ob ich vor Grönland noch einmal die Möglichkeit gehabt hätte so etwas zu sehen. Und wer weiß, ob ich es bis Grönland schaffen werde. Bis dahin ist es noch ganz schön weit. Ich stand also auf dem Eis auf unsicheren Beinen, mit breitem Grinsen, umringt von meinen AuPairJungs und mit meinen Finnen im Rücken. Das blaue Eis glitzerte im goldenen Licht. Die kleinen Sommerhäuser lagen verlassen direkt am Strand. Im Sommerhaus brannte ein Feuer. Mehr war es nicht. Aber für mich war das viel fantastischer als ich es mir jemals hätte ausdenken können.

Eisdecke auf dem Meer bei Kalajoki, Finnland

Wenn ich begründen muss, warum ich diese Momente als erzählenswert ansehe, finde ich darauf keine mich zufriedenstellende Antwort. Vielleicht ist es nur das Gefühl der Behaglichkeit, der Sicherheit, welches ich auf meiner Reise immer wieder hinter mir lasse. Vielleicht sind Momente wo mich die Geborgenheit einholt deswegen so willkommen und intensiv, weil ich mich so selten rundum sicher fühle. Vielleicht. Ich weiß es nicht.

Strand und Eis, Kalajoki, Finnland

***

An Weihnachten standen meine Gastmutter und ihre Mutter in der Küche, um in trauter Zweisamkeit das Essen vorzubereiten. Um auch etwas zum Gelingen des Tages beizutragen, führte ich die Hunde aus. Sie hatten sich schon die ganze Zeit gekabbelt und wurden nicht müde, einander zu beweisen, wer der Stärkere war. Ab und zu brachen sie in ohrenbetäubendes Gekläffe aus, was nicht nur meine Nerven strapazierte. Ich sollte versuchen, ihnen ein wenig Bewegung zu verschaffen, sie zu lüften und nach zwanzig Minuten wieder zurückkommen. Ich machte das gerne, da ich auf diese Weise noch ein paar besinnliche Minuten im Neuschnee für mich würde genießen können. Ich hatte meine Rechnung ohne die fünf Zentimeter dicke Eisschicht gemacht, die unter dem Neuschnee versteckt lag. Es war unglaublich rutschig. Als unerfahrene Hundeführerin mit gleich zwei Tieren verursachte ich einige Leinenverwicklungen.

Ich lief zunächst schnurstracks geradeaus auf einem befestigten Fahrradweg in den Wald. Alles war weiß. Ab und zu schauten ein paar Nadeln aus den weiß bedeckten Baumkronen hervor. Ich lief vorbei an kleinen Holzschuppen, deren Wände aus großen, grauen, unregelmäßigen und halb verwitterten Holzplanken bestanden. Ich stapfte in der jungfräulichen Schneedecke immer gerade aus, vorbei an riesigen Holzhäusern, vor denen eine ganze Reihe von Autos standen und hinter deren Zäunen nicht selten mehr als ein Hund bellte. In der Ferne bildete ich mir ein, ein Jagdhorn zu hören, begleitet von Hundegebell. (Sehr unwahrscheinlich, da die Finnen nicht mit Horn und Hatz jagen.). Langsam begann es zu dämmern und somit beschloss ich, den Rückweg anzutreten.

Das war leichter gesagt als getan. Wieder einmal hatte ich den Schnee unterschätzt. In Windeseile hatte er die Kreuzung für einen Großstädter wie mich unerkenntlich gemacht. Bis heute weiß ich nicht, wo ich auf meinem geraden Weg in den Wald falsch abgebogen war. Ankommen würde ich auf der anderen Seite der Stadt. Dank meiner Handynavigation auch ohne meinen persönlichen finnischen Taxidienst.

Ich lief durch den endlosen Wald. Die Hunde schauten mich völlig unbeeindruckt und etwas abfällig mit ihren braunen Augen von der Seite an. Ich lief durch kleine Siedlungen, vorbei an großen Garagen, alten und neuen, großen und kleinen Häusern. Manchmal lief ich ganze Wegstrecken wieder zurück, weil sich der Weg plötzlich in die entgegengesetzte Richtung wand. Mit der Dämmerung fingen die Familien in den Siedlungen an, große Teelichtfackeln in die Auffahrten zu stellen. Wie schon am Nachmittag auf dem Friedhof, würde sich hier im Laufe des Abends eine Schlange von Lichtern bilden, die den dunklen und verschneiten Fußweg lebendig machten. Kerzen sind immer schön und atmosphärisch, aber draußen in der Nacht, an der frischen Luft, in der Kälte ist es noch verzaubernder. Neben den Weihnachtslichtern in den Bäumen und Sträuchern, den Lichterbögen in den Fenstern und den umherirrenden Autos war dies ein bezauberndes Bild. In dieser Szenerie sah ich Familien zusammenkommen. Die alten Menschen kamen in neuen Autos und die jungen Menschen in alten. Einige brachten ihre Hunde mit und allesamt wurden stürmisch begrüßt. Es wurde geküsst und umarmt und Hände geschüttelt. Von Außen konnte man den Menschen in den hell erleuchteten Fenstern folgen.

Alles in allem fühlte ich mich wie in einem französischen Familiendrama, nur halt in Finnland. Als liefe ich durch den Opening shot. Ich sage französisch, weil ich nicht das Bild einer amerikanischen Idylle hervorrufen möchte, in der sich eine überschminkte Amerikanerin einem ebenso überschminkten Amerikaner, nach einer Reihe von vorgeschobenen Konflikten in die Arme wirft (Vorsicht Klischee). Ich persönlich ziehe die französische Variante vor, in der der überdominante Patriarch seit Jahr und Tag von seiner Frau betrogen wird, und die beiden undankbaren Kinder, neben komplizierten und unglücklichen Ehen, Affären mit Babysittern und inzestuösen Tendenzen, alle Geheimnisse in einer leidenschaftlichen Tirade hinaus posaunen. Nur um der Freude willen, sich gegenseitig zu verletzen. Ein wahres Familienidyll.

 

Als ich meinen Weg zurück in das Finnische Heim gefunden hatte, war die Sonne untergegangen, mein Rücken nass geschwitzt, meine Wangen knallrot und ich bereit für ein Sofa. Das Sofa musste jedoch warten, da ich von meinen inzwischen ernsthaft besorgten Finnen direkt in die Sauna geschickt wurde. Die erste Dauersauna meines Lebens. (Sie ist immer an. Man kann jederzeit spontan rein hüpfen.) Ich erzähle davon, weil die Sauna zwar warm war, aber nicht heiß. Ich habe richtig kalte Füße bekommen. Erst mit den Aufgüssen wurde es gemütlich nass und warm. Der heiße Wasserdampf legte sich wie eine gewichtlose Decke um meinen Körper. Hier verstand ich zum ersten Mal, was die finnische Sauna ausmacht. Es ist nicht wie in Deutschland knochentrocken. Man foltert sich nicht in der Hoffnung dass man ein wenig schwitzt. Es ist auch kein Dampfbad. Das Wasser ist richtig verdammt heiß. Beim ersten Mal haben sich mir die Nasenschleimhäute gehörig zusammengezogen. Aber schön ist es, wenn der Schmerz nachlässt…

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