ROUTINE, EIN LUXUS

English text
Besuch beim Frühstück, Seutula, Vantaa, Finnland

Luxus definiere ich auf meiner Reise ganz neu. Der größte Luxus ist ein gemütliches Bett, und der zweitgrößte ist Zeit zum Verweilen. Um diesen Luxus zu garantieren, trage ich das gemütliche Bett auf dem Rücken und die Zeit zum Verweilen nehme ich mir. Dies ist der Grund, warum das Reisen auf lange Sicht für mich erträglich bleibt. An dritter Stelle kommt der Luxus von Routinen. Bisher war ich davon ausgegangen, dass Routinen den Tod meiner Kreativität mit sich bringen. Hier in Vantaa erlebe ich jedoch das Gegenteil. Der all morgendliche Mokka aus der (extra für mich angeschafften) Bialetti birgt jeden Morgen ein Stück Heimat in sich. Der vertraute Geruch von manchmal eventuell ein wenig verbranntem Kaffee, dem Geräusch des blubbernd aufkochenden Wassers und die schwarze dickliche Flüssigkeit in einer mittelgroßen weißen Tasse bringen mir allmorgendlich eine halbe Stunde des Stillseins. Dieses Gefühl bringt mir nicht der Kaffee allein. Es ist vielmehr das Durchgehen der bekannten Schritte, was diese Zufriedenheit in mir hervorruft: der leichte Geruch, das Geräusch, der Kaffee. Das ist der Teil der Routine, die ich aus Italien nach Hause gebracht habe und von dort hier her.

Routinen sind für mich nicht unveränderbar. Beim Reisen bin ich immer wieder auf der Suche nach neuen. Schließlich stecken in ihnen oft die kleinen Begründungen für die lokal bevorzugten Geschmäcker. Für mich ist es wichtig zu verstehen, warum die eine Art der Zubereitung einer anderen vorgezogen wird. Es geht mir nicht zwangsläufig um eine anthropologisch stichhaltige Abhandlung, sondern um ganz praktische und nachvollziehbare Fakten. Was für mich merkwürdig aussieht (Senf, Wurst und Käse auf einem Brot), wird dadurch nachvollziehbar. In Finnland ist es zum Beispiel nicht unmöglich, aber mit zusätzlichem Aufwand verbunden, ein deutsches Frühstück zu machen. Die Butter ist hier immer gesalzen, was Wurstbrote oft zu salzig macht und Marmeladenbrote ungenießbar. Oft ist man hier deswegen einfach nur ein Butterbrot oder nimmt statt Butter Senf oder Mayonnaise. Ungesalzene Butter zu kaufen, löst das Problem jedoch nicht, denn dann ist die Verteilung des Salzes aus dem Gleichgewicht gebracht. Finnisches Brot ist lecker, wenn man es finnisch belegt. Kommt man mit der deutschen Art, wird man enttäuscht. Sowieso isst man hier viel eher Haferbrei zum Frühstück. Und damit kommen wir zu der Routine, die ich aus Finnland nach Hause bringen werde.

Heutzutage machen viele Menschen auch in Deutschland Haferbrei zum Frühstück, aus denselben Gründen wie die Finnen. Es ist unglaublich gesund. Mir persönlich hat es nie geschmeckt. Ich konnte es essen, war aber immer verwundert, warum Menschen sich dieses matschige Geschlabber antun. Hier habe ich gelernt, die Konsistenz zu variieren, und, dass ein bisschen Zimt Wunder bewirkt. Jeden Sommer friert R. mehr als zwanzig Kilogramm Blaubeeren und Erdbeeren in einen Liter fassende Gefrierbeutel. Jeden Morgen wird eine Hand voll Beeren aus diesen Tüten entnommen und zum Haferschleim hinzugegeben. Stellt euch das mal vor: jeden Morgen Blaubeeren und Erdbeeren essen. Und denkt ja nicht, die hätten was mit der deutschen Variante zu tun. Oh nein. Die Erdbeeren sind groß, süß und schmecken sehr intensiv. Die Blaubeeren stehen den Erdbeeren in nichts nach. Sie sind halt nicht tiefgefroren gekauft und dadurch sauer und geschmacklos, sondern selbst geerntet. Wenn nicht aus dem eigenen Wald, dann aus des Nachbars Erdbeerfeld. Es ist ein Fest. Das sind die Geschmäcker, die in Finnland in den Kinderbüchern verewigt werden. Die für die Menschen hier den Inbegriff von Geborgenheit und Heimat verkörpern. Man könnte fast sagen, dass Blaubeeren und Erdbeeren die Butter auf dem Brot sind.

Eine Routine bezeichnet eine Tätigkeit, die durch lange Erfahrung schnell und sicher ausgeführt werden kann. Es geht nicht darum, diese für immer und ewig, jeden Morgen zu praktizieren, sondern darum, alle Stellschrauben zu verstehen und zu kennen. Eine Routine bringt Sicherheit und Geborgenheit, weil sie vorhersehbar ist. Sicherheit, Geborgenheit, Vorhersehbarkeit und der daraus entstehende Stillstand im Kopf sind Gründe dafür, dass ich das Reisen zu meinem Lebensinhalt gemacht habe. Ich wollte genau dem entkommen. Jetzt merke ich immer häufiger, dass genau darin die Schönheit des täglichen Lebens liegt. Dass es mir nicht darum gehen kann, Routinen zu entkommen, sondern neue Routinen zu finden. Ich sehe in diesen Routinen den eigentlichen Wert, den ein längerer Aufenthalt in einem fremden Land vermitteln kann. Für mich ist das Alltägliche das, worin die meiste Schönheit zu finden ist.

 

Ich spiele mit dem Gedanken aus diesem Thema ein wiederkehrendes Feature zu machen.

Lest ihr gerne über Routinen und das alltägliche Leben in anderen Kulturen?

Hab ihr Routinen die so eine Ruhe in euch auslöst?

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Comments: 1
  • #1

    yvokiwi (Wednesday, 08 February 2017 21:58)

    Das hat was mit Rhythmus und Struktur zu tun und nein, das ist nicht notwendigerweise langweilig.