DER SECHSTE DEZEMBER

Der sechste Dezember ist hier in Finnland nicht Nikolaus. Hier gibt es nur einen Mann in rotem Mantel: den Joulupukki, den Weihnachtsmann. Am sechsten Dezember feiert Finnland seinen Nationalfeiertag. Gefeiert wird der Tag, an dem Finnland seine Unabhängigkeit von Russland proklamierte. Zur Feier des Tages gibt es einen Gottesdienst in der Kathedrale von Helsinki, einen Empfang im Palast des Präsidenten, begleitet von einer ganzen Reihe von Demonstrationen. Die vielen Finnen, die sich nicht für den Empfang des Präsidenten fein machen müssen, treffen sich häufig mit Freunden zu einem Abendessen und schauen sich im Laufe des Abends das Fernsehprogramm an. Jedes Jahr läuft derselbe Film über eine Maschinengewehr-Truppe, die sich während des finnisch-sowjetischen Fortsetzungskrieges nach Russland durchkämpft. Hier eine Kostprobe (und für alle Saving Private Ryan geschulten Filmarmeespezialisten schaut ihn euch ab 01:58 an. So eine finnische Ansprache. Schmunzeln garantiert):

Das eigentliche Highlight des Tages wird ebenfalls live im Fernsehen übertragen. Es ist eine mehrstündige Händeschüttel-Tour-de-Force des Präsidenten und seiner Ehefrau. Dieses Prozedere findet in einem Prunksaal mit mehreren Türen statt. Sie werden hintereinander geöffnet und die höchsten Würdenträger, Veteranen, Beamten, Politiker und Botschafter stehen Schlange. Hier begegnet sich die Crème de la crème Finnlands und da das Land mit seinen fünfeinhalb Millionen Einwohnern dünn besiedelt ist (als Vergleich: Deutschland hat über zweiundachtzig Millionen Einwohner) und sich von diesen Menschen ungefähr Zweitausend im Palast des Präsidenten aufhalten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden kennt, hoch. So langweilig das Zeremoniell als solches ist, so spannend ist es, die verschiedenen Menschen in ihrem Putz zu betrachten. Es kann passieren, dass eine Ex-Freundin oder ein Schulkamerad etwas Außergewöhnliches vollbracht hat und deswegen die Ehre hat, dem Präsidenten die Hände zu schütteln. Zu sehen sind Menschen aus allen sozialen Schichten und Bereichen des Lebens. Auf einen Blick sieht man die Spitze des Landes. (Gerne würde ich so etwas einmal in Berlin sehen. Schließlich habe ich keinen blassen Schimmer wie der höchste Polizist meines Landes aussieht, die Botschafter oder die sonstigen führenden Beamten.) Danach gibt es natürlich noch den unumgänglichen Fernseh-Event auf einem Platz mit großer Bühne in Helsinki. Dort feiern junge und alte Finnen, Ausländer und Besucher und die aktuellen Sternchen der Nation eine Show, die bis in die entferntesten Ecken Finnlands ausgestrahlt wird.

Der sechste Dezember bei meinen Finnen lief genauso ab. Naja gut, den Film „Der unbekannte Soldat“ haben wir nicht geschaut, dafür haben wir bei Freunden vorzüglich geschmaust. Wir konnten in aller Ruhe vom kalten Rentier bis zu den Pralinen mit kleinen finnischen Flaggen drauf, alles in vollen Zügen genießen. Wie es bei kleinen Festen mit Kindern ist, wurde viel gerannt und getobt, gelacht und gegessen. M. hat sogar einen seiner Milchzähne verloren! Als wir zu Hause waren, wurde noch der Rest der Händeschüttelzeremonie geschaut und die Flagge zusammengelegt. Die größte Erkenntnis die mir das verfolgen dieses Events einbrachte, war, dass Bomfunk MC (und der Hitsong "Freestyler") Finnisch sind. Dann ging es ab ins Bett. Finnland war neunundneunzig Jahre alt und die Feierlichkeiten für den Hundertjährigen Geburtstag würden Morgen beginnen und 365 Tage anhalten. Eine Party die 365 Tage andauert, nennt man finnisches Durchhaltevermögen.