Mit dem Zug fuhr ich von Turku nach Helsinki. Dort fielen mir direkt die Spielabteile für die Kinder auf. Vor jeder Treppe gab es ein Kindergitter und der kleine Spielplatz (!) im Abteil bestand aus einer Rutsche und einigen fest installierten Spielmöglichkeiten. In dem Zug mit dem ich fuhr, gab es in jedem Wagen ein solches Abteil, nicht wie in Deutschland wo man mit etwas Glück eine kleine Glasschachtel für drei Erwachsene und 2,5 Kinder in einem Zug für 750 Leute hat. Mit jedem Ticket kam eine Platzreservierung. Der Zug fühlte sich fast leer an, da jeder brav auf seinem Platz saß. Diese geordnete Ruhe, gefiel mir ganz gut. Die Finnen schienen ein Volk ganz nach meinem Herzen zu sein. Niemand setzte sich zu mir oder versuchte gar ein Gespräch anzubandeln. Der Schaffner wies mich freundlich darauf hin, dass ich einen Wagon weiter musste: richtige Sitznummer, falscher Wagen. Es schien ihm wichtig zu sein, also packte ich meine sieben Sachen wieder zusammen und watschelte in den nächsten Wagen. Solange man den Regeln folgte, war Finnland großartig.
In Helsinki angekommen passierten sehr schöne Dinge: Es fiel zunächst einmal der erste Schnee, ich ging auf das Konzert einer Balkanband, kaufte mir endlich eine Wochenration Unterwäsche und Socken (Halleluja, das war schön!) und genoss den Luxus zu wissen, dass ich alle Zeit der Welt hatte, mir diese Stadt anzuschauen. Ich folgte einfach meiner Nase, erkundete die Stadt in gloriosem Schlendrian, schlief lange und erlaubte meinem Kopf eine Pause. Ich entdeckte kleine Läden, die alte Eisenwaren verkauften, kleine Bäckereien, extrem leckere Cafés und ein paar schöne Kirchen. In Helsinki würde es auszuhalten sein. Die Stadt hielt alles was sie versprach.
An einem dieser Abende fuhr ich raus aufs Land, um die potentielle Gastfamilie zu besuchen. Die Mama (R.) wollte mir mein mögliches Zimmer zeigen und mal sehen, ob wir uns im wirklichen Leben sympathisch waren. Ich traf sie nach der Arbeit am Bahnhof und wir fuhren die halbe Stunde Richtung Kivistö mit der Bahn. Dort stiegen wir ins Auto und fuhren noch einmal zehn Minuten, bis wir uns über kleine Straßen einem hell erleuchteten Haus auf einem Hügel näherten. Es war eines der hier typischen gelben Holzhäuser mit im Dunklen nur schwer wahrnehmbaren Schuppen und alten Stallgebäuden auf dem Gelände. Während der Fahrt hatte R. mir von den wichtigen Fakten und Orten an denen wir vorbei fuhren erzählt. Da es dunkel war, merkte ich mir natürlich nichts davon, aber von meinen Erfahrungen aus Frankreich wusste ich, dass ich diese Autofahrt trotz all dem nie vergessen würde. So wie ich das Haus und die Umgebung jetzt wahrnahm, würde ich sie nie wieder sehen. Ich würde die dunklen Ecken kennen, die zunächst wild wirkende Natur als domestiziert erkennen und wissen wo das Grundstück anfing und aufhörte. Ich würde das Haus in allen Lichtsituationen gesehen haben und wissen, wer hier hingehört und wer nicht. An jenem Abend jedoch war alles neu, fremd und ziemlich turbulent.
R. tastete vorsichtig ab, wie mein Verhältnis zu Hunden war (als ich ankam pupste der Familienhund regelmäßig und ziemlich geruchsintensiv), ob ich Fleisch von Tieren aß, die ich kannte, etc. Alles was sie mich fragte konnte ich mit Enthusiasmus bejahen. Natürlich war ich nicht wild auf einen pupsenden Hund, aber ich könnte mich an ihn gewöhnen. Eier von den eigenen Hühnern? JA! Fleisch von Lämmern, die auf den Wiesen und Wäldern vor der Haustür gegrast haben? JA! Selbstgemachten Apfelsaft, Apfelcider? JA und JA! Und so ging es weiter. Ich schaute mir meinen zukünftigen Wohnraum an, ein L-förmig geschnittenes Zimmer, mit einem großen Fenster, einer kleinen und einer großen Tür. Die Wände waren hellblau, kahl, von Nägeln übersät und die Decke mit weißen Platten isoliert. Außer der fluoreszierenden Lampe, die den gesamten Raum in kaltes Licht tauchte, gab es noch eine Nachttischlampe, ein großes Bett und blaugrüne Vorhänge. Der Boden war mit altem Laminat ausgelegt. Das obere Stockwerk war noch nicht renoviert. Außerdem ging mein Zimmer von dem Raum der Kinder ab. Das würde interessant werden. Aber da ich weder tote Mäuse unter dem Bett fand, noch ein unangenehmer Geruch in der Luft hing, sah ich nichts, was ein bisschen Kreativität und Kerzenschein nicht retten konnten. Das würde gehen. Als es dann zum Abendessen Tachos gab, mit Lammfleisch von den eigenen Tieren, war meine schon längst gefallene Entscheidung besiegelt.
Wieder zurück in der Stadt und mit dieser nun gefällten Entscheidung ganz und gar glücklich, stürzte ich mich in das touristische Programm Helsinkis. Ich fuhr auf die Festungsinsel, wandelte zwischen industriell und absolut funktionalen Militärgebäuden herum, die alle zwei Meter die perfekte Kulisse für einen imaginären Outfitpost gaben. Am liebsten hätte ich alle die Lampen und Türen einfach abgeschraubt und mitgenommen. Ging aber leider nicht. Ein Foto musste reichen.
Die tatsächliche mittelalterliche Befestigungsanlage war nicht weniger beeindruckend. Im Sommer macht es hier bestimmt noch einmal mehr Spaß, wenn der Wind nicht ganz so doll pfeift und sich Touristengruppen an den Picknicktischen tummeln.
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