R. und ich hatten ein niedliches kleines AirBnB gebucht, was etwas außerhalb in einer sehr schönen Gegend gelegen war. Nacka Strand. Uns war vor allem wichtig, dass wir einen gemütlichen Platz zum Kochen hatten. Wir schliefen in einem ausgebauten Schuppen, vor einem alten schwedischen Haus. Die Einrichtung war männlich, es war trocken und warm, die Schlafgelegenheiten waren gemütlich und die Küche funktionstüchtig. Unsere Gastgeber waren nett und hilfsbereit. AirBnB bewährte sich einmal mehr. Stockholm begrüßte uns mit einer soliden grauen Wolkenwand und es regnete die ersten drei der vier Tage durch. Nur am letzten Tag bekamen wir die Sonne überhaupt zu sehen, was uns einen kleinen Vorgeschmack auf Stockholm im Sommer gab. Bezaubernd.
Meine persönlichen Highlights waren das Archipel, das Vasa Museum und die Straße, welche dem Södermalmviertel den Ruf der Hipsterhochburg gibt. Neben diesen drei Höhepunkten gab es ein paar nette Straßen und schöne Cafés, aber wenige überraschende Entdeckungen. Stockholm erfüllte mich mit außergewöhnlich wenig Enthusiasmus. Unter keinen Umständen möchte ich dort irgendwann einmal Leben. Von dieser generellen Missstimmung abgesehen, gibt es dort ein paar Juwelen. Das Vasa Museum war großartig und rechtfertigt alleine den Besuch der schwedischen Hauptstadt. Das Museum besteht nur aus einem Ausstellungsstück: der Vasa. Einem Schiff dessen Bedeutung, Geschichte und Erkenntnisse aus der Bergung und Restauration aufgearbeitet wurden. Vor den Augen des Zuschauers wird kontinuierlich weiter an dem Fund gearbeitet. Restauratoren und Wissenschaftler untersuchen jeden einzelnen Bolzen im Schiff und verwursteln die Erkenntnisse in ihren Publikationen. Es ist unglaublich schön, ihnen beim Arbeiten zuzusehen und vermittelt einen authentischen Eindruck vom restauratorischen Langzeitprozess. Ein Mammutprojekt.
Unsere kostenlose Führung war super und der Stolz der Schweden auf diesen Fund sympathisch. Ich bin froh über meine Arbeitserfahrung bei den Archäologen in Halle, da sie mir einen ziemlich umfassenden Eindruck davon vermittelt hat, was bei den Schweden in den sechziger Jahren (und auch heute noch) abgegangen sein muss, als das Schiff gehoben wurde. Die Aufregung, die Nervosität der Archäologen und die Ungeduld der Welt, der nach schnellen Erkenntnissen gelüstet, kann man bei allen Menschen beobachten, die mit großartigen Funden zu tun haben. Eine Reaktion, die sehr verständlich ist, wenn man einmal hinnimmt, dass dieser Fund einmalig ist. Einigen unserer Mitbesucher fiel das allerdings schwer. Sie verstanden nicht, wie so viel Geld über eine so lange Zeit in einen Gegenstand investiert werden kann, der nur 20 Minuten lang in Benutzung war. Sie verstehen nicht, dass der Wert der Erkenntnis nicht im erwirtschafteten Wert des Gegenstandes liegt, sondern in den sicheren Fakten, dem Wissen, welches dieser Gegenstand liefert. Archäologen arbeiten über weite Strecken mit ungesicherten Faktenlagen. Der Balanceakt zwischen Spekulation und Erkenntnis ist immer eine Gradwanderung. Häufig sind die aus Funden erlangten Erkenntnisse Teil eines größeren Puzzles, nur wenige Funde machen isoliert Sinn.
Dieses Schiff ist ein Mikrokosmos aus einer anderen Zeit. Es erlaubt Rückschlüsse auf Arbeitsprozesse, die noch nie betrachtet werden konnten, da nichts schriftlich festgehalten oder berechnet wurde. Fast alle sozialen Schichten haben Spuren auf dem Schiff hinterlassen und leiten den Blick von dort in das Stockholm seiner Zeit. Es ist ein riesiger Fund, der mehr Informationen in sich konserviert hat, als ein Menschenleben auswerten und restaurieren kann. Unumstößliche Fakten sind für einen Historiker oder Archäologen mehr Wert als Geld, denn ihm bringen sie Ruhm und Anerkennung. Außer dem historischen Wert, lehrt die Vasa die Archäologen und Restauratoren täglich, wie man einen so großen Gegenstand für die Ewigkeit konserviert. Die aktuellen Vorhersagen bezüglich des Zustandes des Schiffes sind endlich. Man weiß, dass die Vasa früher oder später zusammenfallen wird. Restauratoren und Archäologen vollführen einen Wettlauf gegen die Zeit.
Für manche der Besucher ist die Vasa nicht eigentlich etwas besonderes, schließlich kennen sie Schiffe dieser Bauart aus Computerspielen und Hollywoodfilmen. Ist nicht schon längst bekannt, wie diese Schiffe gebaut wurden? In solchen Situationen realisiere ich immer wieder, dass ich im Studium wider Erwarten doch so einiges mitgenommen habe. Mir kämen solche Gedanken nicht in den Sinn. Filme- und Computerspielmachern reicht eine Abbildung, zum Beispiel ein Gemälde, um etwas Vergleichbares auf die Leinwand zu zaubern. Um zu wissen wie etwas gebaut wurde, braucht man den Gegenstand oder eine Beschreibung des Prozesses. Der unermessliche Wert eines einmaligen historischen Gegenstandes scheint für andere Menschen diskussionswürdig zu sein. Merkwürdig wie unterschiedlich verschiedene Sachen von verschiedenen Menschen gesehen werden.
Söderalm, das Hipsterviertel, war nett, die Leute etwas stylischer als der normale Schwede, den man in Stockholm auf der Straße sieht. Einige trugen farbige Schuhe oder sogar farbige Socken! Der „normale Schwede“ war meistens in dunkelblaue oder schwarze Klamotten gehüllt. Die wenigen Designläden hatten ein paar wirklich schöne Sachen. Das „Viertel“ ist nur eine Straße mit Hipsterläden. Alles was verkauft wird, ist besonders, ob Schmuck, Klamotten, Frisuren oder Essen. Wir entschlossen uns am Ende für einen bengalisches Bistro mit der Tagline „crazy good bengali streetfood“. Es hielt was es versprach: super mega lecker und das günstigste Restaurant der ganzen Stadt. Glück gehabt.
Bis hierhin habe ich lediglich das beschrieben, was mir gefiel. Schon einige Male ist mir aufgefallen, dass mir Hauptstädte nicht sonderlich viel Freude bereiten. Für mein Empfinden sind sie zu laut und zu fordernd. Ich kann einen gewissen Trott gut leiden und das Gewusel einer Großstadt ist mir zu hektisch. Würde ich so tun als hätte mich Stockholm entzückt und wollte direkt dorthin zurück, würde ich lügen. Die meiste Zeit fand ich es komisch und ziemlich unsymphatisch. Bargeldlos leben ist nichts für mich. Gleich gekleidete Menschen finde ich gruselig und stoßen dem Individualisten in mir auf. Durch die Inseln sind die einzelnen Stadtteile zu weit voneinander entfernt, durch die Autos ist es zu laut, durch den Beton und den Regen ist es zu kalt, etc. Es drängt sich mir der Vergleich zu Venedig auf, welches ich trotz der Touristenmassen Stockholm vorziehe. Wäre Stockholm ohne Autos und mit Booten zu erkunden, das würde mir sehr gut gefallen und weil R. da ganz meiner Meinung war, fuhren wir in den Teil Stockholms, wo das, was wir suchten, gelebt wurde. Das Archipel.
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yvokiwi (Saturday, 31 December 2016 08:14)
Schade, ich war noch nicht da, aber Paps war ganz begeistert von Stockholm. Steht auf unserer To-See-Liste, so eine kleine Städtereise zwischendurch.
Bella (Saturday, 31 December 2016)
Ja, für euch ist das bestimmt schön! :-) Ein kleines Wochenende im Sommer und schwimmen auf dem Archipel. Stell ich mir unschlagbar vor!