Estland begrüßte mich mit einem strahlend blauen Himmel. Seit einer Woche hatte ich so etwas nicht mehr gesehen. Ich passe mich in der Regel schnell an und weise jeden Wunsch nach besserem Wetter weit von mir. Als ich jedoch in der Sonne saß, musste ich mir eingestehen, dass es nichts Besseres gab. Ich bewegte mich nicht, hielt mein Gesicht in die Sonne, schloss die Augen und atmete langsam ein und aus. Der Reisestress der letzten Wochen fiel von mir ab. Das bedrückende Gefühl welches auf mir gelegen hatte verschwand. Alles war gut.
Ich brauchte ziemlich lange, um von Riga nach Nasva (auf Saaremaa) zu kommen. Die längste Zeit fraß das Warten zwischen den unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln. In Pärnu verpasste ich meinen Bus auf die Insel und musste somit 2 Stunden auf den Anschlussbus und die Fähre nach Nasva warten. Ein älterer Este setzte sich zu mir und begann ein stockendes Gespräch. Mit Bedauern stellte er fest, dass er nur Russisch, Estnisch, Finnisch, ein bisschen Schwedisch und noch weniger Deutsch sprach. Er musste lachen als ich ihm aufzählte, was für Sprachen ich spreche. Gemeinsam kamen wir auf 8 verschiedene und trotzdem konnten wir uns nicht austauschen. Die direkte Kommunikation war ausgeschlossen. Ein weiteres Mal wurde mir klar, wie wichtig es sein würde Russisch zu lernen. Der Mann sah alt aus. Seine Raucherhaut tat ihm dabei keinen Gefallen. Er steckte in abgenutzten Kleidern, seine Stimme klang wie eine Säge und Zähne hatte er auch nicht mehr alle. Da er nicht nach Alkohol roch und ein lustiges Zwinkern in den wasserblauen Augen hatte, beschloss ich, nicht die Flucht zu ergreifen. Plötzlich zog er ein altes und sehr kleines Motorola Handy aus der Tasche und telefonierte laut. Dann drückte er mir das Telefon entgegen. Ich sprach mit einem anderen Herrn. Er konnte ein bisschen Englisch, aber ich hatte das Spiel noch nicht verstanden. Erst später wurde mir klar, was mein Banknachbar bezweckte. Später heißt nach zwei Tagen, als ich diesen Text verfasste. Manchmal bin ich unglaublich langsam. Ich hätte ihm einfach auf Englisch sagen sollen, was ich dem Kollegen mitteilen wollte. Naja, so weit kam es nicht, da mein Bus nach Kuressare kam. Unser Gespräch endete mit einem High Five und einem freundlichen Augenzwinkern.
Die Überfahrt auf die Insel war himmlisch. Das Meer war tief grün, in der Ferne wurde es blau, am Himmel standen keine Wolken und mitten auf dem Meer war kein Wind zu spüren. Um fünf Uhr nachmittags stand der Mond bereits hoch am Himmel. Der Norden machte sich bemerkbar. Auf der Insel sah ich die Schatten lang werden. Magic hour. Über die in goldenes Licht getauchten Wiesen lief ein Fuchs. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen wilden Fuchs sah. Sie sind kleiner als erwartet.
Mit dem Sonnenuntergang kam auch die Kälte. Als ich in Kuressare an der Bushaltestelle saß und mir den Po abfror, begann ich bereits, mich nach dem Kamin, den die Anzeige bei AirBnB versprach, zu sehnen. Mit mir warteten ungefähr 5 Jugendliche, ein Pärchen, ein Zwillingspaar und ein schmaler Junge. Erst als ich in den Bus stieg, nachdem ich zwei Stunden in der Kälte saß, erkannte ich, dass zwar die Bushaltestelle um 7 Uhr zugemacht hatte, jedoch die Wartehalle für jeden zugänglich blieb. Wieder mal ein kleines Versagen meinerseits. Als ich in Nasva aus dem Bus stieg, begrüßte mich bereits M, meine Gastgeberin. Sie war mit ihrem (gefühlt riesigen) Auto zur Bushaltestelle gekommen, um mich mitzunehmen. Es sei zwar nicht weit, meinte sie, aber im Dunkeln einfach nicht so schön und schließlich trüge ich schweres Gepäck.
Der Himmel war gerammelt voll mit Sternen. Zum ersten Mal war es nicht so bewölkt, dass man nur vereinzelt Sterne sah oder überhaupt keine. Kleine Kerzen, welche M.s Mama zu meinem Willkommen angezündet hatte, leuchteten uns den Weg zum Dachboden. Die Treppe, die an der Außenwand entlang nach oben führte, knarrte wie kleine Frösche. Oben erwartete uns ein stark aufgeheiztes Zimmer. Der Kamin brannte lichterloh. Mein halb gefrorenes Fleisch jubilierte, mein Lächeln beim Betreten des Raumes wurde breiter. M. bemerkte es erfreut und führte mich herum. Immer wieder betonte sie, wie mutig ich war, alleine zu reisen. Ich hatte inzwischen gelernt, dass es tatsächlich das war. Mutig. Nicht mehr. Mutig heißt, keine Angst vor unbekannten (und damit potentiell gefährlichen) Dingen oder Momenten zu haben. Langsam lernte ich, damit umzugehen, wenn mir so etwas gesagt wurde. M. war eine Frau mit leichtem irischen Akzent (sehr charmant). Sie kannte die Probleme, die mit der Berufswahl des Fotografen einhergehen, da sie mit einem verheiratet war und ich fühlte mich ohne viele Worte verstanden.
Normalerweise kamen hier vor allem Pärchen zu Besuch. Das Zimmer war ausgesprochen hübsch eingerichtet, mit vielen Kerzen, schnulzigen Büchern, einer klitzekleinen Küche, einem etwas größeren Bad, einem großen Bett und einem Sofa. Es war perfekt für mich und meine bereits erwähnte sich anbahnende Reisedepression. Kaum dass M. gegangen war, entdeckte ich, dass das Wlan nicht funktionierte. Sie hatte mich zwar gewarnt, dass es schwach wäre, aber ich empfing gar nichts. Also packte ich meine sieben Sachen aus, kroch ins Bett, schnappte mir eine der Schnulzen und taute langsam auf. Zwei Stunden später fielen meine Augen zu. Ich war so müde, dass ich es nicht einmal mehr schaffte, die ziemlich laut tickende Uhr irgendwo über meinem Kopf aus dem Raum zu verbannen.
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