Kapitel 1, 2 und 3 der Geschichte lesen.
Dies ist Kapitel 4/4.
Als ich in Klaipéda ausstieg, stand die Sonne knallrot am Himmel. Die Wolken fingen das rosarote Licht dramatisch ein. Ich empfand es als gebührende Würdigung meines Seelenzustandes und lief in Richtung meines AirBnB. Zum Glück standen hier vor jedem Bahnhof Stadtkarten und es gab in jedem Fernbus Internet. Ich wusste genau wohin. Den Bus in die Stadt konnte ich nicht nehmen, da selbst die 80 Cent dafür nicht zu finden waren. Bettelarm, hungrig und isoliert stand ich also in der fremden Stadt. (Wie schnell das manchmal geht...) Aus den Bewertungen auf AirBnB wusste ich bereits, dass meine Gastgeberin einen Obstteller und Tee für Ihre Gäste bereitstellte. Ich hätte fürs erste etwas zu essen, Wärme, eine Dusche, ein Bett und einen Ansprechpartner. Für die Umstände würde es mir prächtig gehen.
Klaipéda ist eine kleine nicht unbedingt wunderschöne, aber mit einer sehr hübschen Altstadt ausgestattete Kleinstadt an der Küste Litauens. Auf dem Weg hierher wurde ich ständig gefragt, warum ich unbedingt nach Klaipéda wollte, was es da zu sehen gab. Es gab jedoch keinen anderen Grund, als dass ich mir am Anfang meiner Reise überlegt hatte, dass ich an der Küste entlang reisen wollte. Meine Mutter hatte frech gemeint, dass die Ostseeküste überall gleich sei, aber dem konnte ich überhaupt nicht zustimmen. Die Veränderungen waren klein und vor allem kultureller Art. Es brauchte Zeit und Muße sie zu erkennen. Mir geht es auf dieser Reise nicht darum, alles zu sehen, sondern ein großes Ganzes zu begreifen. Ich muss nicht in jeder Hauptstadt gewesen sein, ich finde oft, dass Kleinstädte ein viel besseres Bild vom Leben in einem Land vermitteln. Berlin ist nicht Deutschland, London nicht Großbritannien, Paris nicht Frankreich, Warschau nicht Polen und Vilnius nicht Litauen. Schlussendlich bin ich die Herrscherin meiner Reiseroute und zum ersten Mal in meinem Leben ist „weil ich das beschlossen habe“ der einzige Grund, den es geben muss. Ein tolles Gefühl.
Bei meiner Familie zu Hause gingen zu dieser Zeit alle Alarmglocken los. Da ich die Kontonummern nicht auswendig konnte und mein Telefonvertrag ausgelaufen war, ich noch keine neue Simkarte hatte und mir auch keine kaufen konnte, weil ich kein Geld hatte, konnte ich die Karten zunächst nicht sperren lassen und kein Onlinebanking machen. Meine Mutter versucht es und scheiterte auch. Nach einiger Zeit gelang es mir die Daten für mein Onlinebanking zu finden und ich sah, dass niemand versucht hatte, darauf zuzugreifen. Alle rieten mir natürlich dazu, die Karten so schnell es geht sperren zu lassen, in meinem Kopf klang jedoch etwas nach, was eine gute Freundin kurz vor meiner Abreise zu mir gesagt hatte: Bella, du bist einfach einer der Menschen, denen nichts passiert. Erinnere dich mal an diese und jene Situation, es hätte dir eigentlich was passieren müssen, aber das tut es nicht. Es gibt solche Menschen. Du bist einer von denen. Genieß es. Ich beschloss ihr zu glauben und habe die Konten nicht gesperrt.
Nach einem guten Mittagsschlaf fragte ich meine Gastgeberin in Klaipéda ungelenk und über Googletranslator, ob sie mir Geld, welches ich auf ihr Konto überweisen ließe, auszahlen könnte (meine Schwester war meine Lebensretterin). Zum Glück stimmte sie zu. Außerdem rief sie für mich die Nummern an in der Busstation von Vilnius und ließ nach meinem Geldbeutel fahnden. Inzwischen bekam ich eine E-Mail von Eurolines, dass sie, da ich mein Ticket nicht bei Ihnen direkt gekauft hatte, nicht zuständig für meinen Geldbeutel wären. Dankeschön.
Ich hatte mich schon damit abgefunden, als der Busbahnhof in Vilnius meine Gastgeberin zurückrief und ihr mitteilte, dass ich morgen nach Vilnius kommen sollte, um den Geldbeutel abzuholen. Menschen sind toll. Ich hatte nicht vor nach Vilnius zu reisen aber "here I go!" Am nächsten Morgen ging es also 307 Kilometer hin und 307 Kilometer zurück. Einmal quer durchs Land. Ich sah viel Wald (wie in Polen) und neu verlegte Gleisbetten.
Ich beschloss den Tag in Vilnius zu verbringen und schmiss mich mit 42€ in der Tasche in die Wellen. Die Hinfahrt kostet 19€ (Bus mit Internet) die Rückfahrt 16€ (Zug ohne Internet), sodass ich noch 7€ für den Tag hatte. Dort angekommen rannte ich von Büro zu Büro, sprach mit verschiedenen Menschen, belagerte das Fundbüro, die Informationsfrau, den Bahnhofsmanager und keiner konnte mir sagen, wo ich meinen Geldbeutel wiederfand. Langsam begann ich zu glauben, dass das mit dem Übersetzen doch alles nicht so gut geklappt haben musste. Meine Gastgeberin sprach schließlich Russisch, nicht Litauisch. Vielleicht gaben sie über so etwas am Telefon keine Auskunft? Vielleicht sind hier alle Verbrecher und decken sich gegenseitig? Ich hätte mein Konto doch sperren lassen sollen. Schlecht gelaunt und ohne Geld wandle ich in die Stadt. Dort verbringe ich 3 Stunden, tummle mich in den dunkelsten Ecken und traue mir nicht wirklich etwas zu essen zu kaufen, weil ich ja vielleicht meinen Geldbeutel nicht zurückbekomme und dann ohne Geld klarkommen muss. Ich ernähre mich von dem billigsten litauischen Frischkäse aus dem Supermarkt und Zwieback, ebenfalls der günstigste. Ich bin kein Zwiebackfan, aber mein Magen knurrte. Abendessen, Frühstück und Mittagessen. Als ich mein Ticket für die Rückfahrt gekauft hatte, holte ich mir aus lauter Frust einen Kebab am Bahnhof. Der Dönerman hielt einen Dönerschnack mit mir. Dönermänner sind überall ähnlich. Auch hier fühle ich mich wie zu Hause. Dönerschnack ist ein Mix aus tiefgründigen Infos austauschen und sinnfreiem Gelaber. Es ist eine Kunst. Als ein Busfahrer kommt und sich hier einen Döner kauft, weiß ich, der wird gut sein und das ist er auch. Das Highlight eines beschissenen Tages.
Zurück in Klaipéda war meine Gastgeberin ganz erschüttert, sie telefonierte wieder mit dem Bahnhof und fand heraus, dass ich im falschen Büro war. Es gab noch ein viertes: das Eurolines international Office. Sie gaben den Geldbeutel einem Busfahrer mit, der es um 15:20 Uhr am nächsten Tag in Klaipéda am Bahnhof abgeben würde. Persönliche Daten wurden abgeglichen, es ist ganz sicher meines. Gleich würde ich mit meiner Gastgeberin dahin aufbrechen und es holen. R. hatte recht. Ich bin einer der Menschen mit mehr Glück als Verstand.
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Ronja (Friday, 25 November 2016 19:59)
Ibland är det svårt att tro på dig själv, men jag tror på dig. Eftersom du gått längre än vad jag skulle ha vågat. Darauf kannst du stolz sein. Bewahre dir deinen Mut, deine Neugier und die Gewissheit, dass dein Glück dir folgt (auch wenn's manchmal auf sich warten lässt. ;) )
Bella (Saturday, 26 November 2016 18:18)
Ha! Ronja! Kiitos rakkaani! Toivoisin myös suurta vastustusta voisin lähettää sinulle a. ;-)
Diana (Sunday, 27 November 2016 14:04)
Liebe Isabelle, das sind ja wirklich unsagbare Begebenheiten, man könnte sie nicht schlauer erfinden!! Du bist doch ein Glückskind, bei aller Schusseligkeit findest Du doch immer zurück auf Deine Füße. Gratuliere. wen ich diese Geschichten in einem Reisbuch lesen würde, käme es mir vor, wie gut erfunden. Ich bin sehr gespannt auf Deine Fortsetzung. Weiterhin gute Reise, wünscht Dir Deine Oma.
Bella (Monday, 28 November 2016 16:36)
Liebe Oma, vielen Dank! Das freut mich. :-) Liebe Güße